Schattenkrieg
Soldaten verstecken?
Wassermann trat vom Bett weg. Veronika winkte lächelnd ab, als die Frau ihr Tee und Kekse anbot – ein solcher Keks hatte sie bei der SFOR einmal eine Zahnfüllung gekostet –, und ging zu dem Jungen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Wassermann eine Zigarettenpackung aus der Brusttasche zog und sich mehr oder weniger demonstrativ nahe der Eingangstür platzierte. Mit einem Wink schickte ihn Veronika nach draußen. Sie wollte sowieso den Wagen nicht unnötig lange unbeaufsichtigt stehen lassen.
Der Junge hatte im Schlaf den Kopf zur Seite gedreht und den Mund leicht geöffnet, so dass seine Zungenspitze zu sehen war. Unter den vielen Decken war keine Atembewegung zu erkennen, aber sie konnte den leichten Atemzug des Jungen hören. Auf seinem Hinterkopf war mit Klebebandstreifen ein ganzer Stapel Kompressen aufgeklebt, etwas lieblos, wie Veronika befand, aber funktionell zumindest ausreichend. Wichtig war ihr vor allem zu sehen, dass der Verband
frisch
war – das bedeutete, dass der Arzt wohl sein Versprechen hielt, regelmäßig vorbeizuschauen. Veronika wollte dem Jungen schon über das Gesicht streifen, ließ dannaber die schon erhobene Hand wieder sinken. Sie wollte ihn auf keinen Fall wecken. So sah sie ihn nur noch eine Weile an und stand dann auf. Lächelnd verabschiedete sie sich von der Mutter und verließ das Gebäude.
Wassermann warf seinen Zigarettenstummel auf die Straße. »Heimwärts?«, fragte er, als sie einstiegen.
»Nein, noch zur Schule.«
Er nickte und fuhr los. Kurz darauf hielt der Wolf vor dem Schulgebäude. Zu dem Gefreiten gewandt, meinte sie, er solle draußen warten, dann stieg sie aus und lief zur Tür. Nachdem sie angeklopft hatte, trat sie ein.
Im Klassenzimmer saßen Fatimas Schüler hinter den Bänken und blickten erwartungsvoll und freudig über die Ablenkung zu ihr. Fatima stand an der Tafel, ein Stück Kreide in der Hand. Ihre Miene verfinsterte sich, als sie die Offizierin erkannte.
»Äh …«, stotterte Veronika. Sie hatte nicht daran gedacht, dass Montag war und in einer Schule natürlich Unterricht gehalten wurde. Mit einer Entschuldigung wollte sie schon auf dem Absatz kehrtmachen, doch Fatima hielt sie auf.
»Nein, Frau Leutnant, einen Augenblick. Warten Sie doch bitte in meiner Wohnung.« Sie deutete auf eine Tür.
Mit rotem Kopf durchquerte Veronika das Klassenzimmer. Hinter der Tür verbarg sich eine Treppe, die in die Wohnung der Lehrerin führte. In Fatimas Wohnzimmer angelangt, legte sie ihre Jacke auf den Boden. Helm und Gewehr hatte sie im Auto gelassen. Neugierig sah sie sich um.
Der Wohnraum war eng, mit einem schmalen Tisch und zwei Stühlen gegenüber einer Schrankwand und einem kleinen, alten Fernseher auf einem Tischchen. Eine dünne Trennwand versperrte teilweise die Sicht auf die Küche, die nur aus Herd und Waschbecken auf der einen sowie einer Arbeitsplatte und einem Hängeschrank auf der anderen Seite bestand. Fatimas Kühlschrank befand sich im Wohnzimmer und diente als Podest für eine Schale, in der ein in Leder gebundener dicker Koran zu sehen war.
»Nun, Frau Leutnant, Sie sind bestimmt wegen Ihrem Dolmetscher hier!«
Veronika schreckte auf, sie hatte die Lehrerin nicht kommen hören. Ihr Tonfall hatte geklungen, als ob sie Veronika bei irgendetwas Verbotenem erwischt hätte.
»Äh … ja, das ist richtig.«
»Er lebt in Stanisor bei der Familie seiner Mutter. Er heißt Marwan, und er ist noch sehr jung. Ist das ein Problem für Sie?«
»Was heißt sehr jung, wenn ich fragen darf?«
»Er ist zwölf.«
Veronika runzelte die Stirn. »Sie wissen, dass ich nicht zu hundert Prozent für seine Sicherheit garantieren kann.«
»Das weiß ich, und das wissen auch Marwans Eltern.«
Etwas
war heute anders. Fatima redete sonst in längeren, weicheren Sätzen, doch heute hatte sie etwas Militärisches an sich. Auch ihre Stimme klang härter. Zögernd antwortete Veronika: »Ich bin über jede Hilfe froh, Fatima. Ich nehme ihn gern als Dolmetscher, wenn er und seine Eltern das wollen.«
»Gut. Dann werde ich Ihnen den Weg zu seinem Haus beschreiben.«
»Danke sehr.«
»Zuerst aber möchte ich mit Ihnen über seine Bezahlung sprechen. Wenn der Junge für Sie als Dolmetscher arbeitet, dann möchte ich, dass er genau das gleiche Gehalt bekommt wie der Mann, der vorher den Posten hatte. Ich werde nicht zulassen, dass er auch nur einen Dinar weniger bekommt!«
Fatima war heute
entschieden
anders. Sie war
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