Schattenkrieg
andere begannen, den Vorwurf zu spüren, den Veronika langsam aufbaute. Unmut machte sich breit.
»Und Sie, Kreis, würden
Sie
einen Ihrer Gefährten in Gefahrbringen?« Auch dieser wehrte sich gegen den kaum noch verdeckten Vorwurf.
»Was ist mit Feldwebel Ulrich? Würden Sie einen Mann absichtlich in Gefahr bringen?«
»Frau Leutnant«, erwiderte der Zugfeldwebel genervt, »
kein
Fallschirmjäger würde so etwas tun!«
»Gut. Dann sind wir uns also einig: Jeder von uns, so wie wir hier versammelt sind, ist jederzeit bereit, sein Leben dafür zu riskieren, um einem anderen aus der Patsche zu helfen, richtig?« Sie sah Nicken, hörte gemurmelte Zustimmung. »Und keiner von uns würde jemals zulassen, dass unsere Handlungen einen unserer Kameraden in Gefahr bringen – wir sind ja schließlich Fallschirmjäger, richtig?« Erneut Zustimmung, diesmal lauter.
Veronika machte eine Pause, in der sie ein Stoßgebet in den Himmel schickte. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie war sich der Aufmerksamkeit jedes Soldaten sicher, so sicher wie vielleicht niemals wieder, wenn sie es verpatzte. Sie bemerkte sogar einige andere Soldaten am Rande des Appellplatzes.
Sie holte tief Luft. Dann schrie sie: »Wie kommt es dann, dass Sie sich dort draußen aufführen wie Schweine? Dass Sie Schutzgelder erpressen und Leute zusammenschlagen? Dass Sie die Menschen, die Sie
beschützen
sollen, berauben und bestehlen? Und Sie wundern sich darüber, dass die Einwohner uns genauso hassen wie ihre eigentlichen Feinde? Kapieren Sie denn nicht, dass das alles zusammenhängt? Kapieren Sie denn nicht, dass
wir
diesen Hass hervorrufen, der die Milizen dazu treibt, nur noch gegen uns zu kämpfen? Diese Kompanie hatte schon einige Verluste, seitdem sie hier ist. Die Gefreiten Seybold und Müller, Leutnant Hoffmann und Unteroffizier Sperber, sie alle sind hier gefallen! Und warum? Weil irgendwelche
Narren
beschlossen haben, sich auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern! Diese Männer könnten heute alle noch leben, wenn wir nicht vergessen hätten, wie der Auftrag dieser Einheit und der gesamten KFOR-Truppe lautet: diesen Leuten hier zu
helfen
, und nicht, sie auszurauben! Wassermann wäre derNächste gewesen. Sehen Sie ihn sich an. Gefreiter Wassermann, treten Sie vor! Na, los, stellen Sie sich nicht so an! Schauen Sie ihn sich an! Er wäre am Sonntag draufgegangen, weil
Sie
dieses kleine Dorf plündern mussten, während Garnier und ich versucht haben, das Leben eines kleinen Kindes zu retten! Wassermann, wie fühlten Sie sich, als der Mob auf der Straße aufgetaucht ist, um zu rächen, was Ihre Gefährten angerichtet haben?«
Wassermann war sprachlos. Er druckste herum, doch Veronika wartete nicht.
»Und so könnte es jedem von Ihnen ergehen, heute, morgen, nächste Woche. Vielleicht ist es das nächste Mal kein Mob von zwanzig Leuten. Vielleicht ist es nur eine Rakete, die ein junger Albaner auf eines unserer Fahrzeuge schießt, weil irgendein Fallschirmjäger seinen Vater verprügelt hat! Vielleicht ist es auch ein serbischer Heckenschütze, der mit einer Kalaschnikow einen Kanonier aus dem Turm unseres Luchses oder einen MG-Schützen vom Dach unserer Dingos holt, weil ein Deutscher seine Frau vergewaltigt hat. Wenn wir uns weiter so benehmen, dann werden wir hier draufgehen, einer nach dem anderen. Ist es das, was Sie wollen? Hier
draufgehen
?«
Veronika atmete durch, wartete ab, bis sich ihr Atem wieder verlangsamte, ihr Gesicht aufhörte, von der Anstrengung zu brennen. Als sie weitersprach, gelang es ihr, die Stimme emotionslos und kalt klingen zu lassen.
»Ab heute wird keiner meiner Männer, kein Einziger, nie mehr einen Bürger erpressen, bestehlen oder Hand an ihn legen. Keiner von Ihnen wird sich hinter meinem Rücken aufführen wie ein Dreckschwein. Falls mir mein Dolmetscher jemals davon berichten sollte, dass sich einer meiner Männer an einem Albaner oder Serben vergriffen hat, dann wissen Sie, was die Paragraphen für Befehlsverweigerung während einer Konfliktsituation vorschreiben.
Haben Sie mich verstanden? «
Ihr Blick wanderte durch die Gesichter ihrer Männer. Einige von ihnen sahen tatsächlich schockiert aus. Andere resignierten. Ein paar von ihnen machten trotzigeGesichter. »Haben Sie mich verstanden?«, wiederholte sie die Frage.
»Frau Leutnant?« Die Frage kam von Bender.
»Ja?«
»Bei den anderen Zügen ist es genau das Gleiche! Denken Sie denn, dass wir die Einzigen sind, die das machen? Die ganze
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