Schattenkrieg
seine Übersetzungen zu einigen Missverständnissen geführt, bis Veronika schließlich herausgefunden hatte, dass Marwan seine eigenen Interpretationen mit einfließen ließ. Seitdem sie ihm das ausgeredet hatte, funktionierte es einwandfrei.
Mit Marwans Hilfe hatte sie Imame und Dorfälteste kontaktiert und sie über den Sinn der Blauhelme aufgeklärt. Sie hatte langeGespräche mit ihnen geführt und hatte nun endlich das Gefühl, dass sich etwas änderte.
Fatima, mit der sie sich inzwischen wieder besser verstand, hatte sich zu einer Art Kontaktperson für Beschwerden der Kosovo-Albaner entwickelt. Inzwischen war die Lehrerin bereits zwei Mal wegen solcher Beschwerden an Veronika herangetreten. Einmal hatten drei Männer aus Benders Gruppe einen Mann ausgeraubt, was Veronika mit einer persönlichen Entschuldigung, einem Monatssold Strafe sowie einem äußerst karriereschädlichen Eintrag in der Personalakte geahndet hatte. Die zweite Beschwerde hatte sich gegen Ulrich gerichtet und war, wie Veronika vermutete, gelogen gewesen. Sie traute ihrem Zugfeldwebel allerhand zu, aber sein Gesichtsausdruck war einfach
zu
perplex gewesen, als sie ihn mit den Vorwürfen konfrontiert hatte.
Jedenfalls schienen ihre Bemühungen Früchte zu tragen: In den Wochen seit dem Blauhelmbefehl war ihr Zug genau einmal unter Beschuss genommen worden, und Veronika hatte den Verdacht, dass das eher ein Versehen gewesen war. Währenddessen mussten die anderen Zugführer weiterhin über Ausfälle klagen, es hatte wieder Verwundete gegeben und noch mal einen Toten.
Auch das Training und die vielen Alarmübungen hatten sich ausgezahlt. Ihr Verständnis ihres Zuges, ihre intuitive Erfassung ihrer Soldaten hatte eine neue Dimension erreicht. Inzwischen war sie in der Lage, während der Übungen zu
erfühlen
, welcher der Männer zu langsam war oder besonders schnell reagierte, sehr zur Verwunderung ihrer Soldaten. Es gab nur fünf oder sechs Männer, die sie noch nicht auf diese Art und Weise erfasst hatte: Feldwebel Ulrich, Unteroffizier Bender und ein paar Soldaten aus seiner Gruppe. Veronika vermutete, dass dies an der Ablehnung lag, mit denen diese Männer sie immer noch behandelten. Die anderen waren ihr inzwischen so vertraut, dass sie nicht einmal mehr Kontrollgänge während des Wachdienstes zu machen brauchte – es genügte ein Anruf beim diensthabenden Unteroffizier im Wachhaus und ein Kommentar wie »Die beiden Männer hinter dem Lagerhausschlafen« oder »Schicken Sie doch bitte eine Fußpatrouille mehr nach draußen«. Da die Soldaten keine Ahnung hatten,
woher
ihre Zugführerin immer so genau Bescheid wusste, begegneten sie ihr inzwischen mit ehrlichem Respekt.
Fatima hatte sie bei ihrem ersten Treffen, nachdem sie vom Lazarett zurückgekehrt war, auf den Messerkampf angesprochen. Die Lehrerin hatte nicht verstanden, warum Veronika ein solches Risiko eingegangen war – und noch weniger, wie sie es geschafft hatte, zu
gewinnen
. Der Mann, den sie getötet hatte, war für sein schnelles Messer berüchtigt gewesen. Nach reiflicher Überlegung hatte Veronika schließlich von ihren merkwürdigen Intuitionen erzählt, von Kampf- und Gefahrensinn und davon, dass ein paar ihrer Soldaten offenbar dagegen immun waren.
Zu ihrer Überraschung hatte Fatima daraufhin nur genickt und gemurmelt: »Jetzt wird mir vieles klar …« Als Veronika jedoch näher nachgefragt hatte, was sie damit meinte, hatte die Lehrerin nur abgewinkt. Stattdessen hatte sie nachgefragt, welche Männer noch immer unsichtbar für ihre Intuition waren. Anschließend hatte Fatima ihre Hand genommen und sie eindringlich beschworen: »Hüten Sie sich vor diesen Leuten! Seien Sie sehr vorsichtig! Sie sind gefährlicher, als Sie sich vorstellen können. Versuchen Sie, Frieden mit ihnen zu schließen!« Die Erinnerung an diese Worte beschäftigte Veronika noch immer.
Ansonsten lief ihr Zug für den Moment wie geschmiert. Sie konnte stolz sein auf ihre Effizienz.
Ihr ging es trotzdem nicht gut.
Sie mochte eine gute Zugführerin sein, aber sie war eine schlechte Offizierin, zumindest für diese Kompanie. Ihre Offizierskollegen beobachteten sie misstrauisch im Fall von Hauptmann Hagen und Oberleutnant Böhnisch – oder feindselig wie Leutnant Fuchs und Stern. Neben Fatima und ganz gelegentlich auch Stabsfeldwebel Bauer besaß Veronika keinerlei Ansprache. Sie fühlte sich schrecklich einsam. Das Weihnachtsfest – inzwischen schon wieder seit einer halben Ewigkeit
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