Schattenkrieg
mehrmals am Tag neue Schneeladungen in die Niederungen ab.
Das Feldlager der Waldläufer war nahe dem Fjordufer errichtet, inmitten der Ruinen alter Wikingerbauten. Derriens Krieger lebten in schweren Zelten aus Leder und Fell, die sie zwischen den steinernen Überresten des Dorfs aufgeschlagen hatten. Die Wege dazwischen waren mit Holzlatten ausgelegt und erweckten den trügerischen Eindruck von Permanenz. Es gab Latrinen am Waldrand, weit genug weg, um Gestank und Seuchengefahr vom Lager fernzuhalten, es gab Koppeln, auf denen die Reitpferde im Schnee nach Gras suchten, es gab Reusen im Fluss, die ein paar optimistische Männer jeden Morgen nach frischem Fisch absuchten.
Die Waldläufer kamen selbst im Winter nicht zur Ruhe, wie Keelin längst festgestellt hatte. Es galt, Kleider zu nähen, Lederzeug zu flicken, Stahl zu polieren. Es gab Übungskämpfe, Bogenschusswettbewerbe und Unterrichtsstunden in den verschiedenen Sprachen, die ein Fomorer sprechen konnte. Und obwohl manchmal ein paar Männer in Richtung ihrer Heimat aufbrachen, um ein paar Tage zusammen mit ihren Familien zu verbringen und neue Ausrüstung einzukaufen oder zu erbetteln, war das Lager stets angefüllt mit Leuten.
In diesen Tagen waren es vor allem Schotten, die den größtenTeil der Waldläufer ausmachten, Schotten, die von Casey Mac Roberts geschickt worden waren, um die Verluste des Hinterhalts auszugleichen.
Fürst Casey hatte zuerst einhundert Krieger geschickt, gute Männer, Freie, größtenteils solche, die sich freiwillig gemeldet hatten, einige davon sogar mit echter Kampferfahrung. Doch dann war der totgeglaubte Derrien zurückgekehrt, und plötzlich hatte Casey kein Interesse mehr daran gehabt, gute Männer an die Waldläufer zu verlieren. Stattdessen hatte der nächste Trupp aus zweihundert
Unfreien
bestanden, die weder kämpfen konnten noch eine besondere Loyalität zu den Kelten hatten. Viele von ihnen waren Verbrecher oder sogar ehemalige Fomorer. Von den versprochenen fünfhundert Männern fehlten jedoch immer noch zweihundert. Keiner der Waldläufer rechnete ernsthaft damit, dass diese noch kommen würden.
Bryce MacRoberts, einer der wenigen alten Hasen, die nach dem Hinterhalt übriggeblieben waren, hatte den Auftrag erhalten, diesen Schotten das Kämpfen beizubringen. Seitdem versammelte er sie täglich auf einem leeren Feld, brachte ihnen bei, was er konnte, und ließ sie gegeneinander antreten. Keelin, die glaubte, Übungsstunden an den Waffen gut gebrauchen zu können, hatte sich ihnen angeschlossen, weshalb sie nun einem muskulösen, dunkelhaarigen Mann gegenüberstand. Er überragte sie um einen Kopf, trug seinen Bart voll und die Haare kurz. Als Zeichen seiner Unfreiheit besaß er keine Schläfenzöpfe. Sie beide waren eingehüllt in grobe Großtartane, mit dem Schild in der einen Hand und einem Holzschwert in der anderen. Es war kalt, vor ihren Mündern wehten Dampfwölkchen. Neben ihnen standen dreißig oder vierzig weitere Paare und warteten auf das Kommando.
»Angriff!«, schallte Bryces Stimme über das Feld.
Keelins Gegner verlor keine Zeit. Er stieß einen Schrei aus und drang auf sie ein, den Schild als Rammbock verwendend, das Holzschwert hoch erhoben und bereit, es wie ein Fallbeil nach unten krachen zu lassen. Keelin wich zurück – dem Angriff standzuhaltenwar bei seiner Kraft und Körpermasse aussichtslos. Das Schwert sauste herab, Keelin sprang zurück.
»Wenn du mal stehenbleiben würdest …«, schnaubte ihr Gegner.
Keelin tänzelte außerhalb seiner Reichweite. Sie antwortete nicht, obwohl ihre feinen Sinne sehr wohl aufgenommen hatten, was er gesagt hatte. Vor allem das »Du«. Respektformel für einen Druiden oder allgemein einen Menschen mit höherem Status war das »Ihr«, doch hier bei den Waldläufern schien das für sie und Brynndrech nicht zu gelten.
Sie gehörten zu keiner Gruppe. Für die erfahrenen Waldläufer waren sie Neulinge, die ihnen momentan mehr schaden als nutzen konnten. Die Schotten waren größtenteils Verbrecher und Taugenichtse, die in den beiden einfache Ziele ihrer Frustration sahen, zumal weder Keelin noch Brynndrech geeignete Persönlichkeiten besaßen, um sie in ihre Schranken zu weisen.
Doch es gab auch noch eine weitere Erklärung: Keelin war die einzige Frau im Lager. Brynndrech war die einzige Missgeburt. War das »Du« etwa ein Zeichen von Verachtung?
Ihr Gegner griff erneut an. Er verwendete dieselbe Taktik wie gerade: Schild voran, Schwert nach oben.
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