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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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Feuer im Rücken, das sie wärmte und das die Wunden beleuchtete, die sie zu versorgen hatte, fiel ihr auf, wie schwer es war, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken kehrten wieder und wieder zurück zu dem Kampf mit Wiesel. Sie musste sich eingestehen, dass ihr der Mann Angst eingejagt hatte.
    Der Splitter im Zeigefinger des Mannes vor ihr hatte zu eitern begonnen. Die Haut darüber war geheilt, so dass der Eiter nicht abfließen konnte. Sie nahm den hölzernen Keil aus ihrer Tasche und reichte ihn dem Mann. »Beiß hier drauf, wenn ich anfange.« Der Waldläufer nickte mit großen Augen, während sie ihr Messer und die gläserne Spritze bereitlegte, die ihr Rowena vor kurzem geschenkt hatte. Vermutlich würde der kleine Schnitt, den sie durchführen musste, um an den Eiter zu kommen, kaum wehtun, doch sie hatte gelernt, dass die meisten Männer nicht mit Schmerzen umgehen konnten. Oh, es machte ihnen nichts aus, sich gegenseitig zu verprügeln und windelweich zu schlagen – aber sobald es darum ging, einen
angekündigten
Schmerz zu ertragen, versagten sie.
    Während Keelin die Klinge über die Kerze hielt, um sie zu sterilisieren, warf sie einen misstrauischen Blick über die Schulter. Sie begriff, dass sie nach dem Wiesel Ausschau hielt, und drehte sich hastig wieder zurück.
    Angst! flüsterte plötzlich eine Ahnenstimme in ihrem Hinterkopf.
    Angst! echoten viele weitere.
    Keelin schüttelte irritiert den Kopf.
Nicht jetzt!
dachte sie mit zusammengepressten Zähnen und versuchte, die Stimmen zu verdrängen. Für den Moment gelang es ihr sogar.
     
    Als sie später in ihrem Zelt lag, konnte sie lange Zeit nicht einschlafen. Ihre Sinne waren bis auf das Schärfste gespannt, sie achtete auf jedes feinste Geräusch, das sie von draußen erreichte. Das Waldläuferlager war ihr schon immer unheimlich gewesen, als einzige Frau unter knapp vierhundert Männern, doch heute war die Angst besonders schlimm.
    Brynndrech war der Einzige, der von ihrem Unwohlsein wusste. Er hatte ihr ursprünglich einmal angeboten, in einem gemeinsamen Zelt zu schlafen, doch sie hatte abgelehnt; zum ersten Mal bereute sie ihre Entscheidung.
    Sie versuchte, sich abzulenken. Ihre Gedanken kehrten zurück zu Keith, dem Heiler, bei dem sie für fünf Wochen in der Lehre gewesen war. Der alte Keith …
    Zuerst hatte sie sich auf den Mann gefreut. Keith war eine Eibe und besaß somit das gleiche Druidenzeichen wie sie selbst. Sie hatte sich viel von ihrer Lehrzeit bei ihm erhofft. Leider hatte sie letztendlich beinahe überhaupt nichts gelernt. Sie hatten sich nicht verstanden, der alte Druide besaß keinerlei Talent dafür, ihr das
Warum
seiner Tätigkeiten zu erklären.
Frag nicht,
warum
man das macht, tue es einfach, es hilft!
war einer seiner Lieblingssätze gewesen, einer der Sätze, weswegen sie ihn am liebsten …
    Keelin schüttelte den Kopf. Diese Gedanken waren einer Druidin nicht würdig. Sie hatte nichts gelernt, zugegeben, aber es war vorbei. Es wurde Zeit, einen Schlussstrich darunter zu ziehen.
    Doch wie gerne würde sie Keiths Kraft besitzen! Seine Heilkunst basierte auf der Fähigkeit, Angst zu geben und zu nehmen, was er ihr sehr eindrucksvoll demonstriert hatte. Die Polizei hatte ihm ein achtjähriges Mädchen in die Sprechstunde gebracht, das von einem ihrer Verwandten missbraucht worden war. Doch anstelle des Dramas, das sie erwartet hatte, hatte die Kleine völlig hemmungslos über die Geschehnisse losgeplappert – Keith hatte ihr die Angst genommen, die Kindern in solchen Situationen normalerweise die Kehle zuschnürte. Es war eine Leichtigkeit gewesen, den Täter herauszufinden. Sie waren zu ihm gefahren, Keith hatteihn zur Seite genommen – und ihm selbst eine Kostprobe jener Angst zu spüren gegeben. Der Mann hatte sich tatsächlich in die Hosen gepisst und Keith hoch und heilig versprochen, seine Nichte niemals wieder anzurühren.
    Keelin war zwar enttäuscht gewesen, den Mann mit so einer geringen Strafe davonkommen zu lassen, doch diese Druidenkraft faszinierte sie. Wie viel man damit doch tun konnte! Kontaktstellen für die Opfer von Gewalttaten waren nur ein Beispiel, doch ihr fielen viele weitere ein: Therapie von Kindern gewalttätiger Eltern, die Psychiatrie, Gerichtsverhandlungen, bei denen Zeugen unter Druck gesetzt worden waren und die Aussage verweigerten …
    … und du selbst, Keelin …
    Sie schluckte. Doch es war wahr. Keith hatte ihr erzählt, dass man die Kraft tatsächlich auch auf sich selbst anwenden

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