Schattenkrieg
um seinen Häschern anzuzeigen, welcher der Männer der Gesuchte war? Direkt im Anschluss waren die Schüsse gefallen! Und so auffällig sie selbst auch war – es gab zwei oder drei weitere kleine Männer in ihrem Zug, die mit Splitterweste und Helm auf fünfundsiebzig Meter Entfernung ohne Zielfernrohr gar nicht so einfach voneinander zu unterscheiden waren. Dass sich der Mann zufällig sie als Ziel genommen hatte, glaubte sie nicht.
Schieße auf den Soldaten, den ich umarme, wenn wir aus der Kirche kommen!
Genau so musste es gewesen sein. Ulrich hatte sie umarmt, der Mann hatte geschossen.
Doch wie hing das alles zusammen? Welchen Draht hatte ihr Zugfeldwebel zu den Einheimischen? Waren die unterschiedlichen Dienstauffassungen von Ulrich und ihr ausreichend, um deshalb ihren Tod zu arrangieren, oder gab es noch etwas anderes? Vor allem aber: Um den Scharfschützen bei der Moschee zu postieren, hatte Ulrich erst einmal
wissen
müssen, was sich dort abspielen würde … Der Gedanke ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Veronika schüttelte den Kopf. Was
übersah
sie?
Er hat versucht, mich umzubringen!
Allein der Gedanke daran reichte aus, ihren Puls in die Höhe zu jagen. Sicher, es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie beschossen worden war – doch es war das erste Mal gewesen, dass man nicht auf sie geschossen hatte, weil sie zur anderen Seite gehörte, sondern weil jemand wollte, dass
sie
starb – Veronika Wagner, ganz privat und ganz persönlich! Es wäre auch beinahe so weit gekommen – dass die Splitterschutzweste die Kugel gefangen hatte, warreiner Zufall, sie hatte
gespürt
, dass der Heckenschütze auf ihren Kopf gezielt hatte. Wahrscheinlich hatte er den Schuss verwackelt, weil sie sich plötzlich bewegt hatte.
Und nachdem er es verbockt hatte, musste er dafür sterben. Ulrich hätte an der Moschee warten sollen, doch stattdessen hatte er ihren Befehl missachtet, seinen Posten verlassen und einen verwundeten und unbewaffneten gegnerischen Soldaten ohne Grund und Not und gegen ihren ausdrücklichen Befehl erschossen. Einfach so. Ihr fiel einfach kein anderer Grund für das Verhalten ihres Zugfeldwebels ein als der, zu verhindern, dass der Mann redete.
Er hat versucht, mich umzubringen!
Der Gedanke nagte an ihr, stahl ihre ohnehin nicht sehr tief wurzelnde Selbstsicherheit. Wie sehr musste man einen Menschen hassen, um ihn ermorden zu lassen? Hatte sie sich gar noch mehr solche Feinde gemacht? Was war mit Bender? War er nur Ulrichs Mitläufer, oder hatten die beiden das Komplott zusammen ausgeheckt? Immerhin war Bender genau wie Ulrich durch ihren Kampfsinn nicht zu erspüren. Vorher hatte sie das damit erklärt, dass die beiden Männer zu widerborstig waren, um sich auf sie einzulassen. Doch nun? Was hatte das alles zu bedeuten?
Inzwischen war ihr auch wieder eingefallen, dass sie ja nicht die erste Offizierin dieses Zuges war, auf die geschossen worden war. Ihr Vorgänger Leutnant Hartmann war von einem Heckenschützen getötet worden. Ob Ulrich auch da seine Finger mit im Spiel gehabt hatte? Veronika würde es wohl nie erfahren, und letztendlich war es auch gar nicht wichtig. Wichtig war, dass Ulrich, der momentan in einem Kellerzimmer eingesperrt war und von zwei Fallschirmjägern bewacht wurde, von hier verschwand. Vielleicht konnte dann endlich Ruhe in dieser Kompanie einkehren.
Doch es fiel ihr schwer, selbst Ruhe zu finden.
Er hat versucht, mich umzubringen!
Veronika spürte, wie ihr Körper auf ihre Angst reagierte, je länger sie darüber nachdachte. Ihr Atem kam schnell, ihr Puls warviel zu rasch. Schweiß trat auf ihre Stirn, obwohl es in ihrem Zimmer wahrlich nicht warm war. Der Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Und wie konnte er auch? Sie wäre jetzt
tot
, wenn sie nicht im allerletzten Moment die Vorahnung gehabt hätte,
tot
,
tot
,
tot!
Sie spürte die Panik in ihr hochkommen, für die sie heute Morgen keine Zeit gehabt hatte.
Für einen Moment sah sie sich vor der Moschee stehen, sah das Projektil, das durch ihren Kopf schlug, sah sich auf den Pflastersteinen zusammenklappen wie eine leblose Puppe, während Blut aus ihrem Hinterkopf sprudelte. Mit weit aufgerissenen Augen und einem großen Loch in der Stirn lag sie da, während sich unter ihrem Kopf eine immer größer werdende Blutlache bildete, umringt von ihren Soldaten, die sie anglotzten und ihr doch nicht helfen konnten, während Ulrich zufrieden lächelte und wieder das Kommando ihres Zuges übernahm. Sie starrte
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