Schattenkrieg
können wir es nicht, weil es, wie gesagt, auf der anderen Seite stattfindet. Ich empfehle euch, nach dem Feldzug die Augen offen zu halten. Wenn ihr die Stadt besetzt habt, sollte es möglich sein, eine Antwort auf diese Frage zu finden.«
»Hoffen wir’s«, maulte Derrien.
Seine Fassade der absoluten Ruhe war über dieser Frage endgültig zerbrochen. Keelin spürte, wie
wichtig
ihm die Lösung diesesRätsels war. Und er hatte recht! Würden sich die Schatten auch dann vermehren, wenn die Stämme den Krieg gewannen und die meisten Schatten erschlugen? Der Verlust seiner Selbstbeherrschung ließ Keelin zum ersten Mal verstehen, welche Bedeutung diese Unwissenheit für sie alle besaß. Solange sie nicht wussten, woher die Schatten kamen, konnten sie vermutlich nicht verhindern, dass sie sich vermehrten. Und wenn sie sich vermehrten …
…
können wir nach dem Kriegszug wieder von vorne beginnen!
In ihre Gedanken vertieft, bemerkte sie Brynndrech erst, als er ihren Tisch erreicht hatte. Die beiden Leibwächter warfen ihm misstrauische Blicke zu, Leiff schien ungefähr ebenso überrascht zu sein wie sie, dass er so offen zu ihnen trat. Derriens Miene war finster, doch ansonsten reagierte er nicht auf das Auftauchen des Walisers. Vielleicht hoffte er, dass Brynndrech doch noch einmal umkehren würde.
Seine Hoffnung wurde nicht erfüllt. Der junge Druide beugte sich zu seinem rechten Ohr und flüsterte etwas hinein. Derrien verzog zuerst keine Miene; nach einer Pause wurden die Furchen auf seiner Stirn jedoch noch tiefer.
»Was?«, fauchte er. »Ja, und?«
Brynndrech hob abwehrend die Hände, senkte den Kopf.
»Verschwinde!«, keifte Derrien und wandte sich von ihm ab. »Idiot«, fügte er noch hinzu, als der Waliser wieder gegangen war.
»Einer eurer Mitarbeiter?«, fragte Martin belustigt.
Derrien grunzte etwas Unverständliches.
Martin zuckte mit den Schultern. »Es ist ziemlich schwer geworden, gutes Personal zu finden. Wenn ihr wollt, kann ich euch ein paar
wirklich
gute Männer empfehlen!«
Derrien schüttelte missmutig den Kopf.
»Dann eben nicht.«
Die beiden Männer fuhren fort, Abmachungen über den bevorstehenden Feldzug auszuhandeln, in Details, denen Keelin schon ohne ihren Kopfschmerz nicht mehr hätte folgen können. Missmutigsah sie hinunter in die Arena, wo der neue Kampf bereits begonnen hatte.
Der neue Gegner des Irren Iren war hochgewachsen und hager und wahrscheinlich nur geringfügig älter als der Schatten – sofern das Äußere eines Schattens überhaupt als Anhaltspunkt für sein Alter herhalten konnte. Er war um einiges schneller als der dicke Bärtige, der vorhin dort unten umgekommen war, und schien dem Schatten einiges abzufordern. Beide Kontrahenten bluteten bereits aus mehreren Schnittwunden an Armen und Oberkörper. Dennoch war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis dem Neuen ein Fehler passierte, der ihn das Leben kosten würde.
Gerade musste sich der Schatten zur Seite auf den Boden werfen, um einer rasanten Angriffsserie seines Gegners auszuweichen. Er rollte sich ab und kam gerade noch rechtzeitig hoch, um einem erneuten Angriff zu entgehen. Die Männer in den unteren Rängen schrien und tobten – sie spürten, dass der Irre Ire dieses Mal geschlagen werden konnte. Doch bei der nächsten Attacke des Neuen zuckte plötzlich die Hand des Schattens nach vorne und warf ihm eine Ladung Sand ins Gesicht. Der Mann taumelte zurück, stolperte und ging zu Boden. Hastig versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen, doch es war klar, dass seine Augen für den Moment blind waren. Es gelang dem Schatten, unbemerkt auf die linke Seite seines Gegners zu gelangen. Mit einem zielgenauen Tritt entwaffnete er ihn; dann griff er mit der Linken nach den Haaren des Neuen, riss daran seinen Kopf nach hinten und zog sein Messer über die entblößte Kehle. Der Schlitz, der am Hals des Mannes aufklaffte, erschien Keelin im ersten Moment wie ein grotesker zweiter Mund, aus dem große Mengen Blut herausquollen. Erschüttert über die Grausamkeit des Kampfes wandte sie ihren Blick schnell ab.
Ihre Zähne knirschten aufeinander. Der Hass, den sie für diesen Schatten empfand, war grenzenlos. Niemals hätte sie von sich gedacht, einmal einen anderen Menschen als ihren Bruder mit dieser Intensität hassen zu können, doch in diesem Momentschrie alles in ihr, aufzustehen und dem Mann in seine grinsende Fratze zu schlagen, wieder und wieder und immer, immer wieder. Sie verfluchte die Tatsache,
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