Schattenkrieg
einen kurzen Augenblick.
»Was tun wir?«, fragte Baturix schließlich.
Der Waldläufer zuckte mit den Schultern. »Die Lagerfeuer zählen.«
»Was sagt uns das?«
»Ein Lagerfeuer anzuzünden und zu unterhalten braucht eine gewisse Arbeit, das heißt, je mehr Männer sich um ein Feuer scharen, desto weniger Arbeit für den einzelnen. Auf der anderen Seite reicht aber ein Feuer nicht für unbegrenzt viele Leute. Der Schattenfeind sieht die Schnittmenge irgendwo bei fünfzehn Leuten. Wenn wir wissen, wie viele Feuer es sind, wissen wir grob, wie viele Krieger sie dort unten haben.«
Baturix starrte nach unten. Das Tal war
übersät
von Feuern. Sie reichten bis tief in die Nebel hinein, wo sie nur noch als verschwommene Lichtfetzen zu sehen waren.
»Das sind … Hunderte! Die können wir unmöglich zählen!«
»Hast du eine bessere Idee?«
»Zurückreiten und Bescheid geben, was hier passiert!«
»Das können wir dann immer noch. Wir müssen zuerst ihre Stärke kennen. Du zählst alle die, die jetzt links von uns sind. Ichübernehme die rechte Seite. Wir gehen solange den Kamm entlang, bis wir sie alle gezählt haben. Vielleicht wissen wir bis dahin auch, wer dort unten kämpft!«
Baturix zuckte mit den Schultern und begann.
Es war eine merkwürdige Arbeit, vielleicht die merkwürdigste, die er jemals gemacht hatte. Unter ihm starben Menschen zu Dutzenden, wenn nicht zu Hunderten, und er zählte Lagerfeuer. Während er dies tat, suchte er krampfhaft nach einem Banner – irgendeinem –, das ihm einen Hinweis darauf geben konnte,
wer
dort unten eigentlich kämpfte, doch er fand keines. Einmal glaubte er, durch den Nebel im Licht eines Feuers einen Schatten in wahrer Gestalt zu sehen, doch er war sich nicht sicher; und selbst wenn, was half ihm das dann? Dass zumindest
eine
der beiden Parteien dort unten Schatten waren, war ohnehin klar.
Er wusste nicht, wie oft er sich verzählte. Doch je länger er dafür benötigte, je weiter er gehen musste, je größer die Zahl wurde, desto mehr beschlich ihn die Angst vor der Schlacht …
Etwa eine halbe Stunde später trafen sie sich wieder. Die Kämpfe waren zwischenzeitlich für ein paar Minuten zum Stehen gekommen, aber dann plötzlich wieder mit neuer Wut aufgeflammt. Scipio saß auf einem Felsen und wartete bereits auf ihn.
»Und?«, fragte der Waldläufer. »Wie viele?«
»Elfhundert, mehr oder weniger … Und du?«
»Achthundert.«
»Oh, bei Morrigan und Dagda!« Baturix schüttelte den Kopf.
»Ich habe unten Frauen kämpfen sehen.«
»Ich auch. Sagt uns das etwas?«
Scipio zuckte mit den Schultern. »Sind bestimmt Fomorer. Glaube kaum, dass die Ratsarmee von Rat vom Dachaigh na Làmhthuigh Frauen mitgenommen hat.«
Sie schwiegen kurz; dann murmelte Baturix: »Ich bilde mir ein, dass da unten auch Schwarze sind.«
»Schwarze? Afrikaner?«
»Ja. Keine Ahnung, woher sie
die
haben …«
Scipio zuckte mit den Schultern. »Das bringt uns letztendlich genauso wenig weiter wie die Frauen.«
»Stimmt.«
Der Waldläufer rappelte sich auf und griff nach seinen Stöcken, die neben ihm auf dem Boden lagen. »Sieht aus, als ob wir nachsehen müssen, gegen wen sie kämpfen.« Mit diesen Worten machte sich Scipio daran, den Kamm zu verlassen –
in Richtung der Schlacht!
»Scipio, bist du verrückt?«, fragte Baturix völlig entgeistert. »Was um alles in der Welt glaubst du, was du da tust … SCIPIO!«
Doch der alte Mann hörte nicht. Baturix eilte ihm hinterher, allein schon deshalb, um ihn nicht in der Dunkelheit zu verlieren. Wenn Scipio erst einmal im Wald verschwunden wäre …
Was dachte sich denn dieser vernagelte Idiot überhaupt? Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, wenn Cintorix hörte, dass hier ein Heer mit ungefähr dreißigtausend Mann lagerte, dann war diese Information alleine schon Gold wert – viel Gold, beziehungsweise viele, viele Menschenleben! Besser, diese Information nach Hause tragen, als beim Versuch, noch mehr zu erfahren, umzukommen!
Er versuchte, Scipio das zu erklären, doch ohne Erfolg. Der alte Mann stiefelte eilig voran, ohne auch nur ein einziges Mal einen Kommentar dazu abzugeben. In seinem Dickschädel, das Ganze durchzuziehen, schien er sogar die Schmerzen in seinen Knien zu ignorieren.
Doch was sollte Baturix nun
tun
? Er war sich noch nicht einmal sicher, dass er alleine in dieser verfluchten Dunkelheit ihr Lager finden würde! Sollte er sich stattdessen vom Starrsinn eines senilen alten
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