Schattenkrieg
müssen uns früher treffen!«
»Wieso denn? Ich habe diese Träume schon seit zwei Monaten, da werden die paar Tage auch nicht weiter stören, oder?«
»Seit zwei Monaten? Bei Arduina und Tarannis! Es geht um dein Leben, Keelin! Sie suchen dich bestimmt schon!«
»Warum?«, stammelte Keelin. »Was … was passiert denn mit mir?«
»Komm mit!« Die Druidin eilte los, zurück in die Richtung, aus der sie beide gekommen waren. Keelin stand vorsichtig auf. Als sie ihr verletztes Bein belastete, stellte sie überrascht fest, dass der Schmerz wieder nachgelassen hatte. Sie humpelte Fiona hinterher, verbissen die Stiche in ihrem Knöchel ignorierend. Währenddessen sprach die Druidin weiter: »Wenn du diese Träume hast, dann besitzt du eine Aura. In Inverness
wimmelt
es nur von Schatten, die deine Aura riechen können. Wenn sie dich finden, erschlagen sie dich, und das ist noch das
Beste,
was dir passieren kann! Du musst aufwachen und fliehen, denn wenn sie dich in deinem Bett erwischen, ist es aus!« Sie hielt an und schaute sich um. Keelin rannte beinahe in sie hinein. Fiona griff nach ihren Schultern und blickte ihr eindringlich in die Augen. »Begreifst du, wie wichtig dieses Treffen ist?«
Keelin nickte verstört, ohne ein Wort verstanden zu haben.
»Dann beeilen wir uns lieber!« Fiona ging zügig weiter. »Ich gehe nicht davon aus, dass du weißt, wie du hier herauskommst?«
»Nein …«
»Keiner weiß es, wenn er noch nicht eingeweiht ist!« Der Ärger in ihrer Stimme war deutlich herauszuhören. »Die Götter könnten wenigstens
das
für uns regeln, Arduina und Tarannis! Immer dann, wenn es brenzlig wird, finden sie nicht mehr zurück! Einfach im richtigen Moment aufzuwachen wäre doch nicht zuviel verlangt!«
Keelin spürte, dass die Frage nicht ihr galt, und blieb still. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Hang, denn Fiona bewegte sich trotz der Dunkelheit schnell und geschickt und hatte schon einen großen Vorsprung.
»Nicht so schnell«, rief sie ihr hinterher.
»Beweg dich nicht vom Fleck! Ich komme zurück!«, war die kurze Antwort. Lautlos verschwand die Druidin völlig in der Dunkelheit.
Kraftlos ließ sich Keelin zu Boden sinken. Hoffnungslosigkeit machte sich in ihr breit. Sie hatte diesen Ort
geliebt,
und nun schickte man sie davon! Es war nicht fair! Sie spürte Tränen ihre Wangen hinablaufen, den salzigen Geschmack auf der Zunge. Sie rang mit sich, versuchte die Fassung zu behalten, doch es gelang ihr nicht. All die Verzweiflung, die Einsamkeit und Frustration, die Angst und die Erinnerungen, monate- und jahrelang angestaut, brachen sie sich ihren Weg aus ihr heraus. Sie weinte, wie sie schon lange nicht mehr geweint hatte.
Sie wusste nicht, wie lange sie so dasaß. Schließlich war das Schlimmste vorbei, und die Tränen liefen ihr lautlos über die Wangen. Dann kehrte Fiona zurück. Keelin spürte, wie die Druidin neben ihr in die Knie ging und sie mit ihren Armen umschlang. Sie legte Keelins Kopf an ihre Schulter und strich ihr mit der Hand über das Haar.
»Ich wünschte, ich könnte dir gleich helfen! Aber ich muss dich zurück in die grausame Welt schicken … Sag mir schnell einen Treffpunkt, ich oder einer meiner Leute werden dort so lange warten, bis du kommst!«
»The Wallace«, schluchzte Keelin.
»The Wallace«, wiederholte Fiona. Wortlos hielt sie sie noch eine Weile fest. Dann aber schob sie Keelin auf Armes Länge und meinte: »Du musst jetzt tapfer sein, versprochen?«
Keelin wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und nickte.
»So ist es schon besser.« Die Druidin zog aus ihrem Mantel ein kleines Tongefäß hervor. Sie entkorkte es und reichte es Keelin.
»Was ist das? Ein Zaubertrank?«
»So etwas Ähnliches. Es wird bewirken, dass du aufwachst.«
»Und was soll ich dann tun?«
»Deine Vorfahren werden dich führen. Trink jetzt! Und sieh zu, dass du so schnell wie möglich zum Treffpunkt kommst!«
Keelin lagen noch so viele Fragen auf der Zunge … Doch der Blick der Druidin sagte ihr, dass sie von ihr keine Antworten mehr zu erwarten hatte.
Mit vor Angst zitternden Händen hob sie den Krug an den Mund und trank.
DERRIEN
Kêr Bagbeg am Romsdalsfjord, Norwegen
31. Oktober 1998
Die Innenwelt
»Derrien«, sagte Nerin, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Ich wusste, dass du kommen würdest.« Der alte Häuptling der Bretonen saß an einem Tisch mit dem Rücken zur Tür. Er trug seinen Wolfsfellumhang und die alte Widderhornkappe, ganz
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