Schattenkrieg
kreisten um Kleinigkeiten, um sich mit dem großen Problem –
Was um alles in der Welt ist bloß los mit mir?
– nicht auseinandersetzen zu müssen. Sie wunderte sich über das unterschiedliche Englisch der beiden, die ja offenbar demselben Clan entstammten: der eine schwer akzentuiert, der andere perfekt und völlig ohne Dialekt. Sie bemerkte, dass die Stimme Robbs öfter fragend klang, die Malcolms öfter belehrend, obwohl sie vermutete, dass sie etwa gleich alt waren.
Keelins Augen entgingen nicht die Unregelmäßigkeiten in den Kleidungsstücken der beiden: Nähte waren krumm und unregelmäßig, die Schnittführung des Tuchs unsauber. Sie war sich sicher, dass sämtliche Kleidung der beiden Handarbeit war. Malcolm, der vor ihr ging, trug das Schwert an der linken Seite in einer Lederscheide, den Holzschild, den er an der Stelle des Angriffs wieder aufgelesen hatte, hatte er über den Rücken geworfen. Darauf waren mit schwarzer Farbe die groben Umrisse eines Wildschweins gemalt.
War der Keiler nicht tatsächlich das Wappentier der Urquharts?
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Traum wurde immer komplizierter …
Das Trommeln wurde lauter. Bald war auch ein aus vielen Männerstimmen zusammengesetzter Chorgesang zu hören, der vom Hang auf ihrer rechten Seite zu kommen schien. Sie marschierten weiter und gelangten schließlich an eine Abzweigung. Ein Pfad führte weiter entlang dem Seeufer nach Westen, während der andere nach Norden den Hang hinaufwies. Sie bogen ab, worauf der Weg einem Gebirgsbach folgend steil und anstrengend wurde. Ihren beiden Begleitern schien dies nichts auszumachen, doch Keelin musste bald schwerer atmen und langsamer gehen. Immer wieder drehte sie sich um, um die Kulisse dieser Nacht aufzunehmen, mit den Feuern auf den Gipfeln und den Kürbisringen um den See und das Dorf.
Schließlich kamen sie an den Waldrand, und es wurde klar, wohin sie unterwegs waren. Der Weg führte zum Sattel zwischen zwei mächtigen Berggipfeln, dem Càrn Eige und dem Mam Sodhail, deren Gipfelfeuer sie jetzt deutlich erkennen konnte. Etwa hundert Meter unter dem Sattel ragte eine mächtige Baumkrone auf, deren Stamm hinter Felsen verborgen war. Von dort kam auch der Widerschein eines Feuers, sowie der Trommelschlag und der Gesang. Nun hörte sie sogar, dass in den Gesangspausen eine einzelne, klare Männerstimme etwas sprach. Der Text war in Gälisch gehalten, so dass Keelin kein Wort verstand.
Malcolm blieb stehen.
»Was ist, gehen wir nicht weiter?«, fragte Keelin verunsichert.
Malcolm schüttelte den Kopf und drehte sich zu ihr um.
Keelin erschrak. Vor ihr Malcolm, hinter ihr Robb, fühlte sie sich plötzlich bedrängt. Würden die beiden nun doch noch …? Eine Woge der Erinnerungen, jahrelang verdrängt und doch keineswegs vergessen, schwappte hoch und entfachte ihre Angst zu einem lodernden Feuer.
Panik nahm von ihr Besitz, und sie trat zu.
Malcolm hatte wohl nicht mit einem Angriff gerechnet und sackte mit einem schmerzerfüllten Stöhnen in die Knie. Keelin duckte sich und entging damit Robbs zupackenden Armen, dann rannte sie davon. »Bleib stehen!«, rief Robb ihr hinterher, doch sie ignorierte ihn. Die Angst beflügelte sie. Sie hetzte den Weg zurück zum Waldrand hinab, wo sie den Pfad verließ und weiterlief. Sie hatte gesehen, dass die Kiefern an anderer Stelle beinahe den Grat erreichten, und hoffte, dort ungesehen emporklettern und das Tal verlassen zu können. Sie rannte wie eine Verrückte, strauchelte mehrmals, stürzte sogar, doch der Boden war weich und bestand größtenteils aus Kiefernnadeln, die sie vor einer Verletzung bewahrten. Die Spur, die sie hinterließ, musste sogar in der Nacht deutlich zu sehen sein, doch das war ihr egal – wenn es ihr doch nur gelang, rechtzeitig aus dem Traum zu entkommen!
Normalerweise hätte ihr ein solcher Lauf keine Schwierigkeiten machen sollen, auch nicht bergauf. In ihrer momentanen Verfassung aber besaß ihr Körper einfach keine Reserven mehr. Sie war in Kürze erschöpft und außer Atem, konnte nur noch taumelnd weitergehen, während ihr Pulsschlag in ihren Ohren hämmerte. Sie verfluchte sich dafür, nicht genügend zu essen, ärgerte sich darüber, keine Zeit mehr für ihr Fußballtraining zu haben, verwünschte ihre Arbeit, die sie so fertigmachte, dass sie, wenn sie müde nach Hause kam, nur noch den Fernseher anschalten konnte und dann davor einschlief.
Keelin kämpfte sich weiter den Berghang hinauf. Kalter Schweiß trat auf ihre
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