Schattenkrieg
Klang eines eingeübten Chors. In Baturix’ Ohren klang es irgendwie gregorianisch; er war sich jedoch nicht sicher, der letzte Choral, den er gehört hatte, lag achtzehn Jahre zurück, und damals hatte er sich noch nicht einmal dafür interessiert. Doch eigentlich
durfte
es gar kein Choral sein. Choräle waren christlich und ganz und gar unkeltisch. Und doch …
»Wir sind gleich da«, meinte der Waliser, der sie führte.
Cintorix antwortete nicht. Seine Miene war grimmig und entschlossen; doch Baturix kannte dieses Gesicht nach all den Jahren gut genug, um zu wissen, dass es nicht mehr war als eine Maske, hinter der der Fürst versuchte, seine Müdigkeit und Erschöpfung zu verstecken. An sich hätte er allen Grund dafür, müde zu sein, aber Cintorix wäre nicht Cintorix gewesen, wenn er seine Schwäche offen zur Schau gestellt hätte. Ebenso wenig aber zeigte er den Stolz, den er empfand. Die Schlacht hätte nicht erfolgreicher für ihn verlaufen können.
Trotz der finsteren Magie, die die Schatten verwendet hatten,trotz der furchteinflößenden Untoten war der Tag gewonnen. Sie hatten das feindliche Heer nicht nur geschlagen, sondern völlig aufgerieben. Natürlich waren Männer entkommen; aber die Struktur der Armee war zerschlagen, die Organisation vernichtet. Wenn sich die geflohenen Fomorer wieder sammelten – das hieß,
falls
sie sich überhaupt noch sammeln ließen und nicht lieber als vogelfreie Marodeure ins Niemandsland sickerten –, würde es eine enorme Herausforderung sein, sie jemals wieder in einen Schildwall zu pressen. Mit dem Tross, den sie erobert hatten, als dieser sich still und heimlich in ein kleines Seitental abzusetzen versuchte, waren ihnen geradezu Unmengen an Proviant, Transporttieren und Ausrüstung in die Hände gefallen. Die Schatten würden
Jahre
brauchen, um sich von diesem Schlag zu erholen.
Nun hing alles davon ab, wie es Derrien Schattenfeind in der Außenwelt ergangen war. War es ihm gelungen, rechzeitig die Pforten in und um Bergen zu erobern? Wie viele hatte er übersehen, wie viele konnten die entkommenen Schatten bei ihrer Flucht zurückerobern? Als Cintorix’ Bannerträger hatte Baturix in den letzten Wochen an vielen strategischen Versammlungen teilgenommen und wusste inzwischen gut genug, worauf es ankam. Wenn der Schattenfeind Erfolg hatte, war die Gefahr vielleicht für immer aus Bergen gebannt – doch wenn er versagte, überlebten die Schatten und konnten wieder damit beginnen, Fomorer in die Innenwelt zu rekrutieren …
Es gab keinen Zweifel daran, dass auch Schatten der Schlacht entkommen waren, vermutlich sogar haufenweise. Von den verschiedenen Hauptmännern der Kavallerie gab es keinerlei Berichte, dass ihnen der gegnerische Heerführer oder ein anderer hochrangiger Schatten in die Hände gefallen wäre (geschweige denn dass sie überhaupt einen
gesehen
hätten). Falls es all diese Schatten zurück in die Außenwelt schafften, würde der Krieg in wenigen Jahren von vorne beginnen.
Vor ihnen schälten sich mehrere Gestalten aus dem Nebel – bewaffnete Krieger, noch immer komplett gerüstet und mit grünemWams über der Brust. Nur die sonnenförmige Bronzespange, mit der ihre ledernen Umhänge geschlossen waren, deutete darauf hin, dass sie Medredydds Leute waren.
Die Waliser traten zur Seite und verbeugten sich wortlos, als der Heerführer an ihnen vorüberritt. Erst als sie schon ein gutes Stück zurückgefallen waren, hörte Baturix, wie sie neugierige Fragen an die Männer hinter ihnen stellten.
Dann erreichten sie die Zeltstadt, die die Männer des Trosses inzwischen errichtet hatten. Es war ungewohnt, das Lager ohne Graben und Erdwall vorzufinden; doch heute gab es andere Prioritäten einzuhalten: Sie brauchten Feuerholz, viel Feuerholz. Genug, um die Toten einer ganzen Schlacht zu verbrennen, wenn möglich noch vor Einbruch der Nacht.
Der Führer brachte sie zu den Pferdegehegen. Baturix’ verkrüppelte Hand krampfte, als er sich damit beim Absteigen am Sattelknauf festhielt. Er schüttelte sie aus und fluchte innerlich über seinen Leichtsinn, der zum Verlust der beiden Finger geführt hatte. Dann ging er zu seinem Herrn, der über den Rücken seines Pferds hinweg mit Ryan sprach.
»Ihr seid für die Reiter verantwortlich«, sagte Cintorix gerade zu dem Waldläufer. »Und versucht, unseren Gefangenen ein paar Informationen zu entlocken.«
Ryan nickte und wandte sich wortlos seinem Reittier zu.
Das Gespräch schien beendet. »Mein
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