Schattenkrieg
der Wahlspruch ist gut,
daran
sollten Sie denken, unabhängig davon, auf wessen Fahne er steht!« Als auch dieser Satz keinerlei Reaktion bei den Männern erkennen ließ, wusste sie, dass sie verloren hatte. Der Schaden war nichtmehr wieder gutzumachen. Resignierend fuhr sie mit ihrer Antrittsrede fort:
»Ich denke, wenn wir uns alle ein wenig anstrengen, dann können wir uns ganz gut verstehen, vielleicht sogar, obwohl ich vom 261sten komme. Ich werde heute und vielleicht auch morgen noch einen Haufen Papierkram zu erledigen haben, deshalb wird Feldwebel Ulrich solange weiterhin kommissarisch den Zug führen. Haben Sie den Männern momentan etwas zu sagen, Ulrich?«
Der Feldwebel hatte wohl nicht damit gerechnet, zu Wort zu kommen, weshalb seine Antwort schwach ausfiel: »Nein … äh … Nein, Frau Leutnant!«
»Gut, dann können Sie vorerst wegtreten. Sehen Sie zu, dass Sie wieder ordentliche Menschen aus sich machen und räumen Sie ihre Stuben auf. Ich werde morgen einen Blick darauf werfen.«
Veronika hasste Stubenappelle. Auch wenn sie selbst gelegentlich daran zweifelte, so waren Soldaten doch erwachsene Männer. Sie glaubte daran, dass jeder das Recht haben sollte, sein Zimmer so herzurichten, wie er es gerne hatte. Davon abgesehen verspürte sie kein Bedürfnis, die Pin-up-Girls in den Spinden zu bewundern. Aber die Stubenkontrolle gehörte nun einmal zu ihren Aufgaben; außerdem wollte sie, zumindest bis sie die Männer ein bisschen besser kannte, etwas Präsenz zeigen. Ein
angekündigter
Stubenappell war der beste Kompromiss, der ihr einfiel. Sie sah auf die Uhr. »Mit den Gruppenführern möchte ich nachher noch ein paar Sätze sprechen – sagen wir um neun Uhr«, fügte sie hinzu.
Damit entließ sie die Männer. Von einem Leutnant Stern, der den vierten Zug anführte, ließ sie sich die verschiedenen Besprechungsräume mit ihren Landkarten, Patrouillen-Protokollen, Schicht-Rotationsplänen und so weiter erklären.
Die Rotation war denkbar einfach: Es gab drei Schichten: Kasernendienst mit so verschiedenen Aufgaben wie Wachdienst, Küchendienst, Reinigungsdienst und so weiter. Veronika fragte sich kurz, wer eigentlich gerade während ihres Appells auf Wache gestanden hatte, verdrängte den Gedanken jedoch vorerst. Am zweiten Tagfolgte eine zehnstündige Tagpatrouille, am dritten Tag eine Nachtpatrouille, und der vierte Tag war frei. Da die Kompanie aus vier Zügen bestand, war jede Aufgabe an jedem Tag besetzt. Veronika hoffte, dass sie bis zur morgigen Patrouille den Schreibkram erledigt hatte. An Fahrzeugen gab es mehrere LKWs, ein paar Wölfe, drei Dingos und einen Luchs-Spähpanzer mit vier Mann Besatzung, von denen jedem Zug einer unterstellt war und mit denen sie später separat noch sprechen würde.
Als Leutnant Stern gegangen war, ließ sie sich auf einen der Stühle sinken. Es war schwierig, die Frustration zu unterdrücken. Wie oft hatte sie schon gehört, dass der erste Eindruck extrem wichtig war … und nun hatte sie es verpatzt. Sie fragte sich, wie groß der Schaden wohl sein mochte.
Bevor sie sich mit den Gruppenführern traf, führte sie noch ein Telefongespräch mit Priština und erfuhr, dass drei ihrer Männer wegen Schussverletzungen und fünf wegen diverser Infekte im Lazarett lagen. Dienstfähig wollte der Arzt keinen von ihnen schreiben. Anschließend setzte sie sich mit den vier Akten der Gruppenführer in einen Besprechungsraum und las, während sie auf die Männer wartete. Sie musste schnell feststellen, dass ihr Vorgänger offenbar nicht viel von seinen Verwaltungsaufgaben gehalten hatte: In keiner der Akten gab es einen Eintrag nach Oktober 1997. Es waren nicht einmal alle Beförderungen verzeichnet – zum Beispiel war Hauptgefreiter Kollborn immer noch Obergefreiter –, und Unteroffizier Benders Mappe war leer. Sie fragte sich, ob der Mann etwas zu verheimlichen hatte, doch da die Mappe selbst ziemlich neu und unbenutzt aussah, glaubte sie eher daran, dass ihr Vorgänger sich einfach einen ganzen Haufen Arbeit erspart hatte.
Veronika mochte sich gar nicht ausdenken, wie lange es dauern würde, bis sie diese Versäumnisse aufgearbeitet hatte … wo sie doch nichts mehr hasste als Büroarbeit! Vor allem, da sie die Zeit mit ihrem Zug verbringen musste, um sich an die Männer zu gewöhnen.
Gewöhnung – das war der Schlüssel. Bei der SFOR hatte sie ihre Leute so gut gekannt, dass sich ihr mysteriöser Gefahreninstinkt auf ihre gesamte Gruppe ausgedehnt hatte.
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