Schattenkrieg
gewährte, solange die Führung nur effektiv war. Die Unterredung dauerte bis exakt 12:00 Uhr, als er sich zum Mittagessen verabschiedete. Veronika blieb verblüfft und ziemlich enttäuscht zurück. Sie hatte sich ein paar nützliche Tipps aus seiner Führungserfahrung erhofft und ein paar Worte darüber, was er von ihr erwartete.
Es war unglaublich …
DERRIEN
Feldlager der Waldläufer am Norddalsfjord, Norwegen
Donnerstag, 05. November 1998
Die Innenwelt
Derrien war müde und erschöpft, als sie kurz nach Sonnenuntergang endlich das Feldlager erreichten. Sie hatten einen fünftägigen Ritt hinter sich, auf dem er sich und seine Gefährten nicht geschont hatte. Der Trollstigen-Pass war bereits eingeschneit und hatte sie länger aufgehalten als es Derrien recht gewesen war. Er hatte es eilig. Lord Rushai, der Schwarze Baum, trieb im Süden sein Unwesen und musste aufgehalten werden.
Das Feldlager war in Tafjord errichtet, ein Dorf am östlichen Ende eines gleichnamigen Fjordes, das aus wenig mehr als verfallenen Ruinen bestand. Die Waldläufer hatten die alte Wikingersiedlung für kurze Zeit mit neuem Leben erfüllt. Überall waren mit Fichtenzweigen getarnte Zelte aufgeschlagen, in den Ruinen brannten abgedunkelte Lagerfeuer, beides Vorsichtsmaßnahmen, um einem feindlichen Kundschafter eine genaue Einschätzung ihrer Stärke zu erschweren.
Derrien ließ sich vom Pferd gleiten und drückte dem erstbesten Waldläufer die Zügel in die Hand. »Ist Quintus zurückgekehrt?«, fragte er ihn kurz angebunden. Die anstrengende Reise hatte seine Wut über Lord Rushais Rückkehr nicht dämpfen können.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Herr, aber er hat noch mal einen Boten geschickt.«
»Was hat Ryan bisher unternommen?« Ryan war einer von Derriens Druiden und momentan auch sein Stellvertreter.
»Herr«, antwortete der Mann, »Ryan hat es für das Beste gehalten, auf Eure Rückkehr zu warten.«
»Was?«, entfuhr es Derrien. »Während Quintus sein Leben aufs Spiel setzt, Rushai zu beobachten? Der Schwarze Baum ist der gefährlichste Schatten, dem ich jemals begegnet bin, und Ryan lässt Quintus mit ihm
alleine
? Hat er etwa Angst, sich mit zweihundert Waldläufern gegen dreißig Feinde zu stellen?«
Sein Pferd schnaubte unruhig und begann, vor ihm zurückzuweichen. Der Mann kämpfte damit, es wieder unter Kontrolle zu bringen. »Äh, ja, Herr, äh«, stotterte er, »vielleicht hat er gedacht –«
»Ach was,
gedacht!
Verdammter Fuchs! Wo finde ich ihn?« Der Mann wies ihm mit dem Kinn den Weg. Wütend stapfte Derrien los.
Ausgerechnet Ryan! Warum muss ein Fuchs meine Waldläufer anführen, wenn ich einen Wolf gebraucht hätte?
Murdoch hätte nicht lange gezaudert; er hätte das Lager abgebrochen und wäre marschiert. Quintus ebenso. Aber Ryan …
Ryan war einer der wenigen Druiden unter den Waldläufern, ein vorsichtiger Ire, dem der Ruf vorhereilte, Fallen förmlich
riechen
zu können. Man nannte ihn deshalb auch den Fuchs, obwohl Derrien fand, dass ein Fuchs nicht nur in der Defensive schlau war. Man konnte auch
zu
vorsichtig sein.
Der Ire hatte sich in einem zerfallenen Langhaus einquartiert. Lederplanen waren vor die eingebrochenen Mauerteile gespannt, so dass das Gebäude fast wie ein Zelt mit geborstener Steinschale aussah. Derrien riss den Vorhang, der den Eingang versperrte, zur Seite und trat ein.
Im Schein einer Kerze saß Ryan über eine Karte gebeugt am Tisch. Sein Gesicht, eingerahmt von üppigen roten Haaren und einem ausladenden Vollbart, war tief in Falten gelegt und ließ ihn weitaus älter erscheinen als die vierzig Jahre, die er tatsächlich war. Er war etwas untersetzt und fast einen Kopf kleiner als Derrien. Er schreckte überrascht hoch und stieß dabei seinen Bierkrug um. Als er ihn erkannte, entspannte er sich wieder. Während er versuchte, die Karte vor dem verschütteten Bier zu retten, meinte er: »Derrien! Gut, dass du –«
»Ryan, was machst du hier?«, herrschte Derrien ihn an. »Warum bist du nicht mit den Männern im Süden?«
»Ich dachte, es ist besser –«
»Ach was! Du schlägst dir hier deinen fetten Wanst voll, während Quintus Lord Rushai beobachtet und jeden Tag aufs neue seinen Kopf riskiert!« Wenn er sich weiter aufregte, würde er bald die Wut seiner Ahnen wecken, aber im Moment war ihm das völlig egal.
»Verdammt, Derrien!« In Ryans Augen blitzte nun ebenfalls der Zorn. »Ich war mir nicht sicher, ob die Nachricht echt ist! Es hätte eine
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