Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
gefährdeten Gebieten gibt es Notfallpläne, welche die Züge entweder sofort stoppen oder durch sogenannte High-Risk-Bahnhöfe durchbrausen lassen. Dazu zählen zum Beispiel Haltepunkte, die zu nah an der Küste liegen. Doch noch können wir alle beruhigt mit Japans Hochgeschwindigkeitszügen fahren, denn bis zum Ausbruch des heiligen Bergs Fuji können noch 1 000 Jahre vergehen, so behaupten es zumindest die Berechnungen der Wissenschaftler.
Dass sich andere Vulkane kaum an die Berechnungen der Wissenschaftler halten, zeigt der Vulkanausbruch auf der Insel Miyakejima im Sommer 2000. In einem Rhythmus von 20 Jahren spuckte der Vulkan immer mal wieder relativ friedlich Asche. Doch nach 2 500 Jahren scheinbarer Ruhe kam es am 18. August 2000 zu einem gewaltigen Ausbruch. In dessen Folge wurde die Insel für beinahe fünf Jahre unbewohnbar, erst danach galt sie wieder als einigermaßen sicher und die Bewohner durften in ihre Häuser zurückkehren. Die lange Zeit der Evakuierung verbrachten sie in Notunterkünften und städtischen Sozialwohnungen ihrer Hauptstadt, da die kleine Insel offiziell zu Tokyo gehört. Obwohl sie 180 Kilometer entfernt mitten im Pazifik liegt! Der Umgang der Behörden mit den Bewohnern Miyakejimas rief viel Unmut hervor. Bei der Verteilung über die verschiedenen Notunterkünfte Tokyos wurden soziale Bindungen kaum oder gar nicht berücksichtigt. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen weisen immer wieder daraufhin, dass die Gefahr von Depressionen nach einer Naturkatastrophe nicht zu unterschätzen sei. Aber die japanischen Behörden weisen die Kritik vehement zurück. Für Japaner gelten besondere Maßstäbe, sie seien nicht so leicht zu erschüttern. Leider stimmt das mit der Realität nicht überein, auch Nippons scheinbar starke Menschen leiden seelisch, wie sonst lässt sich eine Selbstmordrate von zehn Prozent bei den über 60-Jährigen nach dem schweren Erdbeben von Kobe erklären?
Zum Glück ist Japan keineswegs immer der hilflose Spielball der Naturkräfte. Bei Taifunen, Flutwellen und Vulkanausbrüchen funktionieren Frühwarnsysteme recht gut und Menschen kommen, im Verhältnis zum häufigen Auftreten solcher Katastrophen, selten zu Schaden. Die Tsunami-Warnung nach dem Erdbeben auf den Andamanen 2005 und 2009 klappte hervorragend und auch bei der Erdbebenfrühwarnung macht das Land große Fortschritte: 16 Sekunden vor dem letzten schweren Erdbeben 2004 spuckte der Computer korrekt eine Warnung aus. Auf den ersten Blick sind die wenigen Sekunden eine lächerliche Zeit, reichen sie doch kaum, um Deckung zu suchen. 16 Sekunden genügen jedoch, um auf den Alarmknopf der Atomkraftwerke zu drücken. Trotzdem lässt sich die Unberechenbarkeit der Natur in Japan wohl nie ganz ausschalten. Doch was wäre Japans Seele ohne das Bewusstsein, dass unser Erdendasein jeden Augenblick erlöschen kann? Das Wissen um die Zerbrechlichkeit des Lebens schuf eine Kultur, die mit ihrem philosophischen Rüstwerk und den schönen Künsten weltweit Bewunderung findet. Leben bedeutet immer auch Tod, wer wüsste das wohl besser als die Japaner, die stetigen Tänzer auf dem Vulkan?
Vom Schnitzel zum Schätzchen
„Ich habe Ihnen das hier zum Einzug mitgebracht.“ Der Telefontechniker greift in seine Tasche und setzt etwas Zappelndes aufs Wohnzimmerparkett. Die Kinder machen große Augen und weichen einen Schritt zurück, als sich das Geschenk in Bewegung setzt. „Den habe ich draußen vom Baum gepflückt“, strahlt mich der Mann an. „Kinder lieben doch Käfer. Da haben sie in der leeren Wohnung gleich was zum Spielen und einen ersten neuen Freund in der fremden Stadt!“
Mit einem starren Blick auf den gewaltigen Hornkäfer bedanke ich mich höflich für die Aufmerksamkeit. Der Mann setzt das Tier kurzerhand in einen leeren Umzugskarton. „Beim Gemüsehändler um die Ecke gibt es Käfergelee. Das fressen die besonders gern!“ Die Kinder wagen sich näher heran und haben ihr neues Haustier binnen Minuten ins Herz geschlossen. Mit Feuereifer stürzen sie sich in die Pflege des kleinen Geschöpfs, die fremde Umgebung erscheint ihnen auf einmal nicht mehr allzu schlimm. Ich gebe mich geschlagen und plane für den Abend einen Großeinkauf für Emil, unseren Käfer.
Hornkäfer wie Emil gehören zu einem japanischen Sommer wie bei uns Vogelnester zum Frühling. Kaum steigen die Temperaturen, haben die Läden Käferhütten mitsamt Zubehör wie Baumstämmchen und Futterstellen im Angebot. Dazu erhält man
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