Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
tobten, raubten den Eingeschlossenen jede Hoffnung auf Rettung. Alte Menschen in alten Häusern machten zwei Drittel der Todesopfer von Kobe aus.
Erstmals in der Geschichte Japans verfolgten Millionen live die Tragödie einer immensen Naturkatastrophe ihres Landes. Die Nation saß fassungslos vor dem Fernseher und sah zu, wie hilflos ihre Regierung angesichts dieser Katastrophe agierte. Die ersten Bilder kamen durch Fernsehreporter herein, die Menschen sahen eine Stadt in Flammen, ohne Feuerwehr, ohne Ambulanz, scheinbar ihrem Schicksal überlassen. Die Selbstverteidigungsarmee, die, zu ihrer Ehre gesagt, sofort einsatzbereit zur Stelle war, durfte nicht auf Stadtgebiet operieren, da nicht klar war, wer die entsprechende Befugnis aussprechen durfte. Schweizer Rettungsstaffeln saßen tagelang mit ihren Hunden auf dem Flughafen fest, da die Vierbeiner nicht ordnungsgemäß angemeldet waren. Die Menschen konnten es kaum glauben, dass ihnen lebensrettende Hilfe aufgrund bürokratischen Hick-hacks verwehrt bleiben sollte. Sieben Tage war das Gebiet vollkommen ohne Wasser, es sollte weitere drei Monate dauern, bis Gas- und Stromversorgung wieder hergestellt waren.
Eine Welle von freiwilligen Helfern aus dem ganzen Land setzte sich in Bewegung. Zu aller Überraschung griff schließlich die berühmt-berüchtigte japanische Mafia, die Yakuza, ein und schaffte triviale und doch so wichtige Dinge wie Windeln und Babynahrung herbei, verteilte 20 000 Mittagessen und demonstrierte, dass adäquate Hilfe schlicht eine Sache der Organisation ist. Die japanische Unterwelt fühlte sich ihren Landsleuten verpflichtet genug, in Zeiten der Not helfend einzugreifen. Sollten diese Aktionen wohlmöglich auch eine Demonstration ihrer Stärke gegenüber der Obrigkeit sein? Die Menschen empfanden dies nicht so, für sie stand die praktische Hilfe im Vordergrund, egal ob sie von tätowierten Männern oder Anzugträgern der japanischen Bürokratie geleistet wurde. Im Nachhinein verwundert es, dass die Hilflosigkeit des Staates keine Massendemonstrationen ausgelöst, keine Plünderungen stattgefunden haben und das Leben in den Notunterkünften friedlich und diszipliniert verlief.
Wie wir seit Weihnachten 2005 auch aus den deutschen Medien genau wissen, lassen Erdbeben nicht nur den Untergrund wackeln, sie lösen bekanntlich auch Tsunamis aus, seismische Flutwellen, die nach einem Seebeben entstehen. Japan mit seiner langen Pazifikküste fürchtet diese Wellen nach jedem Beben. Küstenorte haben ausgeschilderte Fluchtplätze in sicherer Höhe. Dämme und Tore, die bis zu 25 Meter im Boden verankert sind, sollen die Hafenanlagen schützen. Der staatliche Fernsehsender NHK meldet grundsätzlich innerhalb von zwei Minuten, ob und wo Flutwellengefahr besteht. Da in den meisten japanischen Familien der Fernseher permanent läuft und alle Programme im Katastrophenfall unterbrochen werden und automatisch auf NHK umschalten, sind die Leute grundsätzlich gut informiert. Meist sind die Wellen nur ein paar Zentimeter hoch, sie können aber auch innerhalb von Minuten so gewaltig werden, dass für eine Flucht keine Zeit mehr bleibt. 1960, nach einem verheerenden Beben in Chile, lief eine riesige Flutwelle quer durch den Pazifik und traf nach 18 Stunden auf die japanische Küste. Trotz der Warnungen erfahrener Fischer starben über hundert Personen, darunter auch Schweizer Touristen, die sich das Phänomen aus nächster Nähe am Strand ansehen wollten.
Berge sind in Japan niemals weit, so finden sich in allen Küstenregionen ausgewiesene Zufluchtsstätten in höheren Lagen. Aber nicht alle Erhebungen bieten bei Erdbeben Sicherheit, denn Japans Gebirge bestehen zum großen Teil aus aktivem Vulkangestein. Ausbrüche finden weiterhin mit schöner Regelmäßigkeit statt. 20 Vulkane stehen unter ständiger Beobachtung, für die Gemeinden um den berühmtesten Vulkan Japans, dem Fuji, gibt es besondere Evakuierungspläne. Sein letzter großer Ausbruch liegt zwar schon eine Weile zurück (1707), doch Wissenschaftler befürchten, dass Tokyo als Konsequenz verkehrstechnisch von den Wirtschaftszentren Nagoya und Osaka abgetrennt sein wird. Japan plant daher bis zum Jahr 2025 eine Alternativstrecke für den Shinkansen. Diese Hochgeschwindigkeitszüge bilden das Herz des modernen japanischen Fernverkehrs. Ohne den Shinkansen würde der Transport von Millionen von Menschen entlang der Pazifikküste extrem erschwert werden. Für sämtliche Bahnstrecken in besonders
Weitere Kostenlose Bücher