Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
einzige fatale Folge: Ich bin tot. Also befrei mich endlich!«
Milt fing an, die Trümmer beiseitezuschieben. Seine Rückenmuskeln drückten sich durch das Shirt und spannten die braun gebrannte Haut an seinen Armen. Schließlich richtete er sich auf, der Schweiß rann ihm von der Stirn. »Mehr schaffe ich allein und ohne technische Hilfsmittel nicht. Wir müssen es so versuchen.«
Laura hatte Angst davor. Nicht vor einer Verletzung, sondern vor dem, was sich nun offenbaren würde. Aber sie schluckte alles hinunter - sie wollte raus hier, zu welchem Preis auch immer.
Milt trat hinter sie, richtete sie auf, so weit es ging, schlang die Arme unter ihren Achseln durch und verschränkte sie unter ihrer Brust. »Bleib ganz entspannt und locker, ich mache alles.«
»Schaffst du das denn?«
»Zu irgendwas muss mein Fitnesstraining schließlich gut sein, du Leichtgewicht.« Er verstärkte den Griff. »Also, atmen. Ein-aus, ein-aus, ein - jetzt!«
Laura hielt den Atem an und blieb in schlaffer Haltung, während Milt versuchte, sie anzuheben und aus den Trümmern zu ziehen.
»Es geht nicht!« Sie keuchte. »Ich sitze fest!«
»Ich hab’ ja noch nicht mal angefangen«, brummte er. »Musste erst mal feststellen, wie du drinsteckst. Ich werde dich jetzt hin und her drehen, bleib bitte weiter völlig entspannt.«
Laura gehorchte. Sie spürte den Druck von Milts Muskeln, roch seinen Schweiß, doch es war ein Trost und keineswegs unangenehm, denn er war warm und lebendig. Milt bewegte sie hin und her wie eine Puppe, zog und zerrte, schob und drückte - und dann war sie mit einem Ruck plötzlich draußen!
Für einen Moment saßen sie beide völlig erschöpft und laut keuchend da, Laura immer noch an Milt gelehnt, und er hielt sie fest, als wollte er verhindern, dass sie ihm gleich wieder entglitt. Für einen Moment spendeten sie sich auf diese Weise gegenseitig Trost.
Laura blickte an sich hinab; ihre Shorts waren schmutzig, hatten aber nur wenige Risse davongetragen. Ihre Beine wiesen einige Schrammen und blaue Flecken auf, doch keine bedeutenden Verletzungen. Dann deutete sie prustend auf ihre Flip-Flops, die immer noch an ihren schlanken braunen Füßen hingen.
»Und jetzt«, begann Milt, »kommt die wichtigste Übung. Wie sagte Beatrice Kiddo?«
»Wackle mit dem großen Zeh«, zitierte Laura prompt, und dann lachten sie beide. Es klang mehr nach hysterischem Kreischen, doch es befreite.
Laura gelang es, mit den Zehen zu wackeln. Milt half ihr auf die Beine, und gemeinsam kämpften sie sich durch die Trümmerteile. Den Blick auf die Leichen vermieden sie.
Als Laura endlich festen Boden erreichte, sah sie sich um. Ein erschütterter Laut entfuhr ihr, und sie musste sich an Milt anlehnen, weil ihre Beine schwach wurden. Das gesamte Ausmaß des Unglücks offenbarte sich ihr nun: Überall lagen Flugzeugteile, Gepäckstücke und tote Menschen in einem unübersichtlichen Chaos. Dazwischen stolperten Überlebende herum, teils orientierungslos; andere versuchten, ihnen zu helfen. Erste Hilfe wurde geleistet, man barg Verletzte und suchte nach Schattenplätzen für sie, denn die Sonne brannte heiß herab. Mehrere Personen riefen und suchten in den Trümmern nach Angehörigen. Andere hatten sie bereits gefunden, weinten laut oder sackten still in sich zusammen.
»Warum kommt mir denn niemand zu Hilfe?«, schrie eine wohl vertraute Stimme.
»Zoe!«, rief Laura. »Hier bin ich! Hier!«
Ihre Freundin kam um ein hochstehendes Wrackteil herum in Sicht, verharrte, und Laura wedelte wild mit den Armen.
»Laura?«, sagte Zoe verwundert, dann klärte sich ihre Miene, und sie lief auf ihren hochhackigen Schuhen los. »Laura!«
Die beiden jungen Frauen fielen sich in die Arme.
»Laura, was ist überhaupt los? Ich kapiere gar nichts mehr! Ich habe geschlafen, und jetzt …« Zoe wies um sich. »Was ist passiert, hat der Pilot einen zu viel über den Durst getrunken?«
»Zoe, das ist Milt«, stellte Laura ihren Helfer vor. »Er hat mir aus dem Wrack geholfen. Ich konnte nicht nach dir rufen.«
Zoe musterte den blonden jungen Mann kurz. »Hast du was damit zu tun?«
»Wohl kaum«, antwortete er. »Ich war Passagier, genau wie du.«
»Dann entschuldige mich bitte, ich bin auf der Suche nach einem Funkempfang. Ich versuche, den Notdienst zu erreichen. Und dann können sich alle auf eine Klage gefasst machen, der Flughafen, die Lotsen, die Gesellschaft! Uns einfach hier sitzen und warten zu lassen, ist das zu fassen …?« Weiter
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