Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
darauf, wer in welche Richtung gehen sollte: Cedric weiter nach Osten, Randy nach Süden, Rudolf nach Norden, und Rita entschied sich für den Südwesten.
»Und wie machen wir es mit der Rückkehr?«
Sie hatten keine Möglichkeit, sich per Handy zu verständigen. Wenn einer von ihnen in Schwierigkeiten geriet, musste er allein damit fertig werden. Aber nur mit einer Aufteilung hatten sie überhaupt eine Chance, ein möglichst großes Gebiet abzugehen und etwas in erreichbarer Nähe zu finden.
Sie stellten sich in einer Linie auf und richteten den Arm auf »16 Uhr«. Wenn die Sonne diesen Stand erreicht hatte, wollten sie sich auf den Rückweg machen; dann trafen sie auf alle Fälle noch vor der Dunkelheit wieder am Lager ein.
Diese Zeitspanne musste reichen, alles andere wäre ohnehin zu weit entfernt.
»Viel Glück«, wünschten sie sich gegenseitig.
Rudolf schritt forsch aus. Er war Deutscher, der die meiste Zeit in Kairo lebte, von wo aus er die Abenteuertouren durch die Wüste organisierte. Der Zuspruch war positiv, er konnte gut davon leben, und Spaß machte es außerdem. Da er seine Touren als XXL-Extrem bezeichnete und sich grundsätzlich mit einem Fragebogen vorher kundig machte, wer bei ihm buchen wollte, erlebte er so gut wie nie Schwierigkeiten mit Touristen, die zu wenig Ausdauer hatten oder zu hohe Ansprüche stellten.
Erst einmal war es bisher passiert, dass er ein »abenteuerlustiges« junges Paar nach der Anreise darüber aufklärte, dass es nicht teilnehmen könne. Die beiden waren in Stöckelschuhen und mit großem Gepäck angereist und erkundigten sich als Erstes, ob es im Lager am Abend Champagner geben würde und wo denn das Personal zum Aufstellen der Zelte wäre. Im Fragebogen hatten sie etwas ganz anderes angegeben. Rudolf ließ sich deshalb nicht erweichen, obwohl die beiden mit Klage drohten. Das wäre ihm egal gewesen, und das sagte er den beiden auch: »Die Wüste ist kein Spaß oder Zeitvertreib gegen die Langeweile.«
Zu Fuß hatte Rudolf eine Wüste allerdings noch nie durchquert, höchstens einmal auf einer halbstündigen Tour. Ansonsten fuhr er Jeep oder Landrover, am liebsten an den Dünen entlang oder über sie hinweg, was jedes Mal berauschend war. Rudolf fuhr zudem Wettrennen durch die Wüste, und wenn er keine Tour hatte, zog er mit den Kumpels durch die Clubs von Kairo und amüsierte sich mit den Mädchen, die einen »harten Kerl« wie ihn, der kein Schaumschläger war, sehr schätzten.
Ein- oder zweimal im Jahr besuchte er seine Eltern in Deutschland, fror sich dabei halb zu Tode, fand alles beengt, spießig und scheußlich und sah zu, dass er wieder wegkam, sobald sie damit anfingen, was für nette Mädchen sie kennen würden, ob er diese nicht auch mal …
Und nun - nach Norden. Rudolf hatte sich dafür entschieden, weil es hier viele hohe Dünen gab. Es war zwar sehr anstrengend, sie nacheinander besteigen zu müssen, aber er war gut durchtrainiert und joggte an seinem Agentur-Stützpunkt jeden Morgen zwanzig Kilometer. Der Sand sah zwar merkwürdig aus, aber er besaß dieselben Eigenschaften wie jeder andere, und damit konnte Rudolf umgehen.
Er hatte sich überlegt, dass er von oben leichter etwas entdecken konnte. Das würde den Weg und die Dauer der Suche verkürzen und im Endeffekt Energie sparen.
Also dann, die erste Düne erwartete ihn. Hinauf und den Blick schweifen lassen. Von den anderen war bereits keine Spur mehr zu sehen; sie waren zu weit entfernt oder im Dünenschatten. Aber darauf kam es auch nicht an. Rudolf spähte nach Anzeichen für Wasser, und sei es auch nur ein dünner Halm, der aus dem Sand ragte. Alles war möglich …
Doch da war nichts. Kein ungewöhnlich langer oder seltsamer Schatten. Dünen, Sand, Himmel und Rudolf. Unwillkürlich sah er sich um, und als er seinen eigenen Schatten sah, war er beruhigt.
Nicht alles war hier fremd, und zumindest einige der bekannten Naturgesetze schienen in Kraft zu sein. Rudolf war normalerweise recht nüchtern und pragmatisch, aber die Tatsachen sprachen für sich, und seine Einstellung zu »Welten nebenan« hatte sich grundlegend geändert.
Also weiter nach Norden auf die vierte Düne, von hier aus gezählt. Wahrscheinlich brauchte er eine Stunde dahin. Dann würde er noch eine weitere Düne schaffen, höchstens zwei, bevor er sich wieder auf den Rückweg machen musste.
Unten angekommen, setzte Rudolf eine Fahne mitten in eine kleine Sandkuhle, die von fünf Dünen umgeben war. Ein markanter
Weitere Kostenlose Bücher