Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
Punkt.
Rudolf dachte nicht weiter darüber nach, wie lange er so durchhalten konnte. Er hatte den Mundschutz fest zugezogen, der Kopf war geschützt, und ab und zu befeuchtete er den Stoff vor den Lippen aus seiner Wasserflasche. Er brauchte das Wasser noch für den Rückweg; deswegen musste er jetzt sparsamer damit umgehen, als es prinzipiell gut für ihn war.
Ich halte das durch, ich bin Entbehrungen und Ausdauer gewohnt, machte er sich selbst Mut.
Vor allem durfte er sich vor den anderen keine Blöße geben. Gleichmäßig lief Rudolf dahin, wo der Weg gut begehbar war. Glücklicherweise hatte er in alter Gewohnheit stabiles Schuhwerk getragen, sodass er im Sand gut abfedern konnte. Lediglich der Aufstieg auf die nächste Düne war schon bedeutend beschwerlicher als der erste, und er spürte es in den Oberschenkeln.
Der zweite Blick war nicht ermutigender als der erste. Rudolf orientierte sich Richtung Wrack, glaubte, die Dünen auf dem Weg dorthin zu erkennen; das Flugzeug selbst war nicht mehr sichtbar. Frustriert trank Rudolf ein paar Schlucke, dann ging er weiter.
Und dann, endlich, beim Blick von der dritten Düne, glaubte er etwas zu erkennen, weiter Richtung Norden. Einen Schatten, der nicht von einer Düne geworfen wurde, ein dunkler Haufen zwischen zwei Sanderhebungen.
Lass es eine Quelle sein, dachte er, bitte, lass mich Erfolg haben.
Er hastete die Düne hinab, orientierte sich an dem Weg, den er von oben ausgemacht hatte, und lief auf die dunkle Stelle zu, die sich inmitten der glitzernden Einöde gezeigt hatte.
Dann blieb er abrupt stehen.
Randy hielt sich immer Richtung Süden; das war seiner Ansicht nach die einfachste, weil für ihn positivste Richtung. Ob sie auch Erfolg bringen würde, sollte sich zeigen. Welche Wahl hatte er schon?
Was würde Vater jetzt wohl sagen?, dachte er ironisch. Sein Vater, der Wüstensohn, der Scheich inmitten seines Harems, der heute noch so archaisch lebte wie einst. Er hielt nichts von der Moderne, abgesehen vom neuesten Blackberry, mit dem er seine Börsenkurse stündlich abrufen und damit den Aktienkurs seiner Beteiligungen bestimmen konnte, indem er kaufte und verkaufte. Das war sein ganzer Lebensinhalt, von dem er sich gelegentlich mit Frauen und Männergesprächen entspannte. Bis dahin mussten sich alle bereithalten und in der Wüste bei ihm ausharren. Sein Lager bestand aus luxuriös eingerichteten Zelten im Randgebiet einer Oase, aber es gab nicht viel Abwechslung.
»Wofür brauchst du all das Geld hier draußen?«, hatte Randy ihn einmal gefragt.
»Ich brauche es gar nicht«, hatte sein Vater geantwortet. »Aber es ist ein ungemein erregendes Gefühl, es auf den Konten zu haben und Beträge in siebenstelliger Höhe hin und her zu schieben und zu sehen, wie sich das auf den Weltmarkt auswirkt. Diese Zahlen sind spannender und beredter als jedes Buch, jeder Film, Sohn. Und sie machen dich mächtiger als jeden Diktator, weil du auf der ganzen Welt die Fäden ziehst - ohne dass du in der Öffentlichkeit bekannt bist.«
Randys Mutter war Amerikanerin, die mit seinem Vater nie verheiratet gewesen war. Die beiden hatten sich einmal auf der Wall Street bei einem Business-Empfang getroffen und eine Affäre begonnen, die mit Randys Geburt endete. Als Randy alt genug war, hatte seine Mutter ihn in die Wüste geschickt zu seinem Vater, der weder schockiert noch allzu erfreut war. Er erkannte Randy aber ohne großes Aufheben als seinen Sohn an und ließ ihn seine Börsenausbildung fortsetzen, die er noch bei seiner Mutter begonnen hatte.
Bis Randy beiden erklärte, dass sie sich ihre Zahlen sonst wohin schieben könnten; er brauchte einen anderen Kick und gründete ein Reiseunternehmen, das schon nach kurzer Zeit mit Erfolg lief. Die Leute mochten seine Naturburschenart und seine exotische Herkunft - der Sohn eines echten Scheichs!
Die Liebe zur Wüste hatte sein Vater ihm vererbt, aber von seiner Mutter hatte er die Liebe zur Freiheit. Randy hatte sich nie gebunden. Ab und zu einmal hatte er eine Freundin, aber die meiste Zeit war ihm die Arbeit am wichtigsten; das konnte keine Beziehung lange aushalten. Familie - ja, eines Tages, wenn er Mitte vierzig war oder so.
Den Kongress hatte er nur besucht, weil er - natürlich wegen seiner Herkunft - als Ehrengast zu einem Vortrag eingeladen worden war. Er stellte fest, dass alle Teilnehmer sich ähnelten - sie waren Eigenbrötler, hielten nur sich selbst für wichtig, waren auf Kundenfang und wollten so schnell
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