Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
verschwinden lassen? Ist das vielleicht sein Reich?«
Ihre Stimme wurde leiser, und Laura fielen die Lider zu. Nach kurzer Zeit sank ihr Kopf aufs Kinn, und sie schlummerte fest.
Aber in ihrem Traum gab es nur Kälte. Sie irrte durch eine endlose Weite, ohne Hoffnung, verfolgt von etwas, dessen Atem sie im Ohr spürte … Doch jedes Mal, wenn sie sich umdrehte, war da nichts. Nicht einmal ein Schatten.
Ich sehe dich, flüsterte etwas. Ich kriege dich.
Laura fuhr hoch und schnappte nach Luft. Hilflos sah sie auf den Piloten hinab, der sich nicht bewegt hatte.
»Sie können mir auch nicht helfen«, wisperte sie. »Nicht einmal Sie können mir Trost spenden.«
Sie löste ihre Hand, stand auf und ging zu ihrem Lager. Unterwegs prallte sie auf Milt; sie hatte den Kopf gesenkt gehalten und auf nichts um sie herum geachtet.
»Was ist denn …«, begann Milt, hielt inne, legte die Hand unter ihr Kinn und hob es zu sich an. »Laura, was ist passiert?«, fragte er erschrocken. »Du siehst zu Tode verängstigt aus!«
»Nur ein Traum«, stieß sie hervor. »Weil ich solchen Hunger habe. Lass mich, Milt, ich brauche jetzt meine Ruhe …«
»Behalt die Nerven, Laura«, sagte er beunruhigt.
Sie schüttelte den Kopf und ging weiter.
Rita hätte sich lieber weiter nach Osten gewandt, doch sie hatte Cedric den Vortritt gelassen, weil es ihm offensichtlich lieber war. Es ging hier nicht um einen Wettstreit, sondern ums Überleben. Südwesten war auch keine schlechte Wahl, und wenn doch, dann würde sie eben als Nächstes den Nordosten versuchen. Das Ende ihrer Tage war noch nicht gekommen.
Sie fühlte sich gar nicht so sehr von der Katastrophe betroffen. Ihr war es gleich, wo sie sich aufhielt, Hauptsache in der Wüste. Und wenn sie so schön war wie diese hier, umso besser.
Die Wüste war der einzige Ort, an dem Rita sich sicher und geborgen fühlte, wie zu Hause. Der Lebensfeindlichkeit sah sie fatalistisch entgegen; wenn es so sein sollte, dann war es eben so. Mit dem Tod hatte die Frau sich schon lange angefreundet, gar verbündet. Sie suchte ihn nicht, aber sie würde ihn willkommen heißen, sollte er zu ihr kommen.
Rita war keine Frau vieler Worte. Wenn sie eine Touristengruppe durch die Wüste führte, war ihr Tonfall oftmals barsch, denn das Wohlergehen der Tiere ging immer vor, und das nicht nur, weil das Überleben der Menschen von ihnen abhing. Tiere hatten Rita noch nie verraten oder verletzt, sie vertrauten ihr und gaben für die Obhut das Zehnfache zurück.
Deshalb konnte sie es auf den Tod nicht ausstehen, wenn diese verweichlichten Städter, die keine Ahnung vom Umgang mit Tieren hatten, die Pferde oder Kamele als »blöde Viecher« beschimpften, an den Zügeln herumrissen oder die Füße in den Bauch schlugen. Da wurde Rita sehr laut und harsch.
Erstaunlicherweise hatte das ihrem Geschäft noch nie geschadet. Sicher gab es Kunden, die sie nicht weiterempfehlen würden, aber in dem Fall war das ohnehin besser. Wer wusste schon, wen Rita sonst als Nächstes am Hals haben würde?
Zumeist aber war es so, dass die Schwierigkeiten gleich am Anfang auftraten und sich dann im Lauf der Reise, die mindestens drei und höchstens acht Tage dauerte, von selbst legten. Je mehr Entbehrungen die Touristen erdulden mussten, je weiter sie auf ihr pures Sein herabreduziert wurden, desto stärker wuchsen die Gruppen zusammen. Eines Tages erkannten sie dann die Pracht und Erhabenheit der Wüste, hörten auf, nur an sich zu denken, und nahmen das Außen mit Andacht in sich auf. Und die »Scheißviecher« wurden zu ihren besten Freunden, mit denen sie durch dick und dünn gingen, von denen sie in der Frühe begrüßt wurden und die sie am Abend versorgten.
Dann war Rita zufrieden, dann sah man sie abends entspannt und lächelnd am Feuer sitzen und Geschichten erzählen. Das wollte sie lehren: Respekt vor der Natur und allem, was darin lebte. Und zu erkennen, wie klein man war mitten in einer Wüste, die dreihundertsechzig Grad Rundumsicht bot, ohne von Siedlungen oder Autobahnen durchbrochen zu werden. Eine kleine Scheibe mit der riesigen Halbkugel des Sternenzeltes darüber, das in schlotternder Nacht nirgends sonst so klar und funkelnd war.
So konnte man sich eins fühlen mit allem, ohne teure Selbstfindungsseminare besuchen zu müssen. Leer musste der Kopf werden, hatte Rita herausgefunden, nicht mit noch mehr klugen Sprüchen und Anweisungen vollgestopft. Leer, und man wurde sich seines Selbst bewusst.
Das wollte
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