Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
und einschließlich des Richters waren ihm alle dankbar, dass er ihn aus dem Verkehr gezogen hat. Er hatte eine Disco in die Luft gejagt, konnte aber nicht verurteilt werden, weil die IRA ihre schützende Hand über ihn hielt.«
»Klingt nicht so, als wäre deine Welt besser als meine.«
»Eigentlich sollte diese hier die bessere sein, zumindest war sie mal so gedacht, nach allem, was ich gehört habe. Jedenfalls, wenn ich so mitkriege, was Kramp da oben mit der Mannschaft und den Sklaven treibt, bin ich sogar noch glimpflich davongekommen und habe zudem ein Einzelzimmer mit persönlicher Betreuung.« Er grinste schief. »Und es freut mich, dass zu deinem Veilchen inzwischen kein zweites hinzugekommen ist.«
»Du scheinst dich wirklich zu erholen. Kramp würde das gern ändern. Er ist stinksauer, weil der Käpt'n ihm verboten hat, euch anzurühren.«
»Und wann kommt er dann selber wieder runter?«
»Nicht so schnell. Laura hat ihn herausgefordert.« Aswig erzählte in wenigen Worten, was er beim Lauschen mit Andreas' Hilfe herausgefunden hatte.
»Was für ein Mädel!« Finn seufzte hingerissen.
»Milt geht es übrigens auch besser. Ich glaube, er erholt sich langsam.«
»Das ist die beste Nachricht des Tages. Dann brauchst du dir um uns keine Gedanken mehr zu machen, Aswig. Sieh lieber zu, dass du Laura auf jede nur erdenkliche Weise unterstützen kannst.«
»Das mach ich«, versprach der Schiffsjunge.
Laura hatte sich die ganze Zeit über den Kopf zerbrochen, welche Fragen sie stellen sollte. Zehn Fragen, das klang nach viel – dennoch war es zu wenig für jemanden, über den man nichts wusste. Vor allem, da Fokke eine falsche Frage nicht mit Ja oder Nein, sondern schlichtweg gar nicht beantworten musste.
Welches würde wohl die richtige Frage sein? Es gab ja so viele Interpretationen über den Hintergrund des Fluches. Allen gemein war die Annahme eines Frevels, aber das war nicht weiter schwierig. Jemand tat etwas Schlimmes und wurde dafür bestraft. In Fokkes Fall dauerhaft damit, dass er zum Untoten wurde und nie mehr sein Schiff verlassen durfte. Das irgendwann fliegen konnte, magisch wurde wie er ... Aber wodurch war das geschehen?
Klar, diese Frage könnte sie stellen. Aber war das auch die richtige? Das wäre doch zu einfach.
Mit ihrer Mutter hatte Laura einst die Oper »Der Fliegende Holländer« besucht. Zwölf Jahre alt war sie damals gewesen und schwer beeindruckt von dem rollenden Bass des Sängers. Von wem war die Oper doch gleich? Wagner, oder? Kein Ewigkeitenstück, sondern von angenehmer Länge, wie es ein Kind aushalten konnte. Und was war darin geschehen? Sie zerbrach sich den Kopf. Es war dafür einfach schon zu lange her, nicht an Jahren, aber an Reife. Damals war sie ein Kind gewesen, die Wahrnehmung anders.
Dann erinnerte sie sich an die Moderne. In der »Fluch der Karibik«-Reihe war das Motiv des Fliegenden Holländers ebenfalls aufgenommen worden. Da flog er nicht durch die Lüfte, sondern tauchte aus den Tiefen des Meeres auf. Und wie hatte die Geschichte geendet? Ach ja, genau. Hier konnte der Verdammte, der an die Stelle des Kapitäns als neuer Kapitän des Schiffes getreten war – ach, Orlando Bloom, seufz –, nämlich einmal alle sieben Jahre an Land gehen für einen Tag. Gab es das auch bei den verschiedenen Sagen? Wenn ja, was sollte die Folge sein?
Erlösung, ja. Er ging an Land, eine Bestimmung des Fluches musste erfüllt werden, und dann war er erlöst.
Aber traf das denn ebenso auf Fokke zu? Der war überhaupt keine tragische Figur, die Erlösung verdient hatte oder sich danach sehnte. Die einzige Möglichkeit war, dass er im Fall der Erlösung wieder zu sich fand, zu dem guten Mann, der er einst gewesen war. Aber war er das denn gewesen?
Wenn sie sich nur mehr damit beschäftigt hätte!
»Nun? Es wird Zeit. Auch ein Schachspiel währt nicht ewig.«
»Ich weiß. Also gut. Erste Frage: Wurde der Fluch durch dein eigenes Verhalten ausgelöst oder durch eine unerfüllbare Aufgabe, die dir aufgetragen worden war?« Es war doch völlig egal, eine Oder-Frage zu stellen, da er ohnehin nicht antwortete; aber vielleicht würde er eine gewisse Reaktion darauf zeigen.
»Das war einfach«, sagte er. »Gut, aber einfach.«
Flüche wurden durch zwei verschiedene Voraussetzungen ausgelöst wie in dieser Frage benannt. Eigen- oder Fremdverschulden. Bei Eigenverschulden gab es so gut wie keine Chance auf Erlösung, bei einem ausgelösten Versagen durch Fremdverschulden
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