Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
gnädig. Er spülte die roten Flecken weg und sorgte dafür, dass bereits nach wenigen Minuten nichts mehr von dem zu sehen war, was sich an Bord der Cyria Rani abgespielt hatte. Wären nicht die beiden leblosen Gestalten gewesen und die vielen offenen Wunden an seinem Leib – Arun hätte glauben können, den Angriff der Kraniche nur geträumt zu haben.
»Wir wussten, dass es Opfer geben würde«, wiederholte er leise, nur für sich selbst. »Aber doch nicht so viele.«
Aswig und Nidi hatten den Angriff unbeschadet überstanden, der Steuermann ebenso. Harmeau zündete sich in aller Seelenruhe ein neues Pfeifchen an. Man hatte Arun erzählt, dass der Alte unter den Kranichen richtiggehend gewütet hatte. Doch niemand konnte ihm sagen, wie Harmeau es angestellt hatte. Ihn umgab ein Geheimnis, das Arun nachdenklich werden ließ. Warum war er nicht schon früher auf den alten Seebären aufmerksam geworden? Was spielte er für eine Rolle auf diesem Schiff?
Der Schrazel riss ihn aus seiner Nachdenklichkeit. Eben erzählte er mit stolzer Stimme, wie er und sein Freund sich an den Kämpfen beteiligt hatten. Sie hatten drei Kraniche erlegt und ihnen Schmuckfedern aus dem Bürzel gerissen. Sie hingen an einem Band, das er sich um den Kopf gebunden hatte, und gaben dem Kleinen ein noch lächerlicheres Aussehen, als er ohnedies schon hatte.
»Die beiden Toten bekommen eine Luftbestattung in allen Ehren«, sagte Arun zu den versammelten Schiffsleuten. »Alle Verletzten lassen sich so rasch wie möglich unter Deck versorgen. Wir arbeiten mit einer Notbesatzung. Wer kann, bleibt oben und hilft bei den Aufräumarbeiten mit.« Er zögerte. »Wir haben uns ausgezeichnet geschlagen. Ich bin stolz auf die Besatzung der Cyria Rani. Ihr seid allesamt würdig, an Bord dieses Schiffs auf Kaperfahrt zu gehen.«
Arun legte eine weitere Atempause ein. »Denn wir befinden uns auf einer Kaperfahrt. Wir suchen eine Beute, wie dieses Land keine andere kennt. Wenn es uns gelingt, den Dolch Girne zu finden und an uns zu bringen, werden unsere Namen für alle Zeiten in den Schicksalsbüchern verewigt werden. Uns wird es zu verdanken sein, dass Innistìr vom Drachenelfen Alberich befreit wird. Uns erwartet dafür womöglich keine Belohnung, die sich in Gold und anderen Werten aufwiegen lässt – doch die Ehre, einen schier unbesiegbaren Feind bekämpft zu haben, wird uns gehören.« Er nickte einigen Leuten zu, die sich im Kampf besonders tapfer geschlagen hatten.
»Danke«, sagte Arun zum Schluss, verbeugte sich vor seiner Mannschaft und wies die Küche an, besonders reichhaltig zu kochen.
Tage vergingen ereignislos. Sie trieben hoch oben über das Land der Gog/Magog. Horden der Hunde- und Wolfartigen zogen durchs Land. Sie klapperten mit ihren Waffen und stießen in den Nächten schauerliches Kriegsgeheul aus. Gewiss folgten sie dem Ruf des Schattenlords, der die tumben Geschöpfe an anderen Schauplätzen für seine unheilvollen Pläne missbrauchte.
Waren die Gog/Magog denn dumm? Bislang hatten sie sich nicht als die hellsten aller Krieger erwiesen. Doch sie verbissen sich in ihre Gegner, wichen kaum einmal zurück und stellten selbst für die versiertesten Kämpfer nicht zu unterschätzende Feinde dar.
Aswig, Nidi und Harmeau klebten tagaus, tagein aneinander. Der Alte hatte sich nun doch breitschlagen lassen, den Aufpasser für die beiden Kleinen zu spielen. Auch wenn er niemals lachte – Arun ahnte, dass Harmeau allmählich Spaß an seiner neuen Aufgabe fand.
Ein silbern glänzender Fluss wand sich unter ihnen durch ein breites, trogförmiges Tal. Das Bild wirkte idyllisch und spiegelte keinesfalls die Gefahren wider, die sie in diesem Land erwarteten. Da und dort entdeckte Arun Gehöfte der Gog/Magog. Feinste Rauchfahnen stiegen kerzengerade in den Himmel. Die Winde waren selbst in den Höhen, die sie derzeit für ihre Fahrt nutzten, nahezu eingeschlafen.
Arun fühlte ein Ziehen und Zerren an seinem Rock. Nidi stand da und starrte ihn mit seinen großen Augen an. »Wir haben was entdeckt«, sagte er.
»Und zwar, kleiner Schrazel?«
»Aswig und ich fühlen seit einiger Zeit, dass der Dolch Girne ... wandert. Er bleibt niemals ruhig, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum wir lange Zeit so ratlos waren.«
»Damit erzählst du mir nichts Neues.«
»Neu ist, dass wir unser Gefühl für den Dolch nun besser einordnen können. Wir sehen ihn manchmal leuchtend grell vor uns, dann wieder von Wut und Verachtung
Weitere Kostenlose Bücher