Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
Bösem, dem er keinesfalls begegnen wollte. Doch solange er hier stehen blieb, würde das Böse nicht auf ihn achten. Es würde vorüberreisen, würde sich nicht weiter um ihn kümmern.
Oder?
»Felix! Bitte!« Wieder sprach sie dieses ungewohnte Wort aus. Diesmal klang es sehr drängend, fast kläglich. Was wollte sie nur von ihm?
»Sei einmal in deinem Leben stark!«, rief sie. »Du stirbst, wenn du dort stehen bleibst. Du musst dich lösen, jetzt gleich!«
Angela redete Unsinn. Sie wusste nur nicht, was gerade mit ihm geschah und wie sehr ihm diese innere Ruhe behagte. Die Wellen waren nun nahe, sie würden ihn in wenigen Sekunden erreichen und passieren, ohne ihm Schmerz zuzufügen. Er musste bloß ruhig bleiben.
»Denk an die Kinder!«
Die Kinder ...
Felix löste die Hände und trat einen Schritt zurück, dann noch einen. Die Wellen berührten sich, dort, wo er eben gestanden hatte. Sie prallten mit unglaublicher Wucht aufeinander und erzeugten einen Krach, eine Schallwelle, die ihn meterweit beiseiteschleuderte, die all seine schönen Gedanken mit einem Mal auslöschte und ihm einen Schmerz versetzte, den er bislang nicht gekannt hatte.
Sein Kopf drohte zu explodieren. Die Pein durchdrang ihn, schnitt ihn in Scheiben. Seine Sicht zerfaserte. Felix nahm nur noch Facetten seiner Umgebung wahr, und diese passten irgendwie nicht zusammen. Manche standen auf dem Kopf, andere drehten sich, einigen hafteten seltsame Gerüche an.
Er fühlte seinen Körper wieder. Er ahnte, wie er Arme und Beine einzusetzen hatte, um wegzukommen. Weg von dieser Mauer, die ihn hatte töten wollen.
Er meinte, das Wasser des Baches spüren zu können. Und Angela. Ihr haftete ein seltsamer Geruch an, eine Mischung aus Lavendel und Schwefel. Sie war sein Ziel. Auf sie kroch er zu, in einer Welt, die keine Geräusche mehr kannte. Seine Ohren waren taub, und als er über die Gehörmuscheln tastete, fühlte er warme Flüssigkeit, die daraus hervordrang.
Der Krach hallte in ihm nach, ließ seinen Körper beben. Er war froh, dass er kaum etwas sah. Er wollte sich nicht zur Mauer umdrehen, und schon gar nicht wollte er wissen, welche Gefahr dort lauerte.
Irgendwann meinte Felix, in Sicherheit zu sein. Er hatte den Bach erreicht, glitt hindurch, scherte sich nicht darum, dass er vollkommen durchnässt wurde. Auf der anderen Seite kam er mühsam auf die Beine.
Angela stand da, etwa ein Dutzend Meter neben ihm. Er konnte sie erkennen, sein Augenlicht kehrte allmählich zurück. Sie starrte ihn an und sagte dann etwas, das er nicht verstand. Er las Panik in ihren Blicken – und so etwas wie Erleichterung darüber, dass er es im letzten Moment geschafft hatte.
Er drehte sich der Mauer zu. Dort, wo er gelehnt hatte, zeichnete sich der Abdruck eines Menschen in Lebensgröße ab. All die Schwärze war weggefegt worden. Sie hatte dem Türkis des Kupfers Platz gemacht. Und unmittelbar davor befand sich eine metertiefe Grube. Es war, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Von den Wellen hingegen war nichts mehr zu sehen.
»Wir sind also im Land der Gog/Magog gelandet«, sagte er. »Was bedeutet das für uns?« Immer wieder wanderten seine Blicke zu Angelas Hüfte, zum Dolch Girne. Sie humpelte und atmete unregelmäßig. Doch sie schien weit weg von ihrem Tod zu sein, und das erleichterte Felix ungemein.
Angela sagte etwas, das er nicht verstand.
»Red bitte etwas lauter!«, verlangte er.
»Alberich!«, rief sie. »Ich möchte Alberich finden. Und dann ...«
»Was willst du ihm antun, Angela? Glaubst du etwa, dass er sich vor dir fürchten muss?«
Vielleicht muss er das wirklich, dachte Felix insgeheim. Ihre Kräfte als Kristallhexe sind mir mehr als unheimlich.
Sie gab keine Antwort und torkelte weiter. Weg von der Mauer, tiefer hinein ins Land. Rings um sie waren unbestellte Felder und einige verlassene Häuser. Leben war nirgends zu entdecken. Sie benahm sich so, als müsste sie sich vor nichts und niemandem fürchten.
Felix trat näher an sie heran und wollte sie stützen. Sie wehrte ihn verärgert ab. »Lass das gefälligst!«, sagte sie.
»Ich wollte bloß helfen ...«
»Halt einfach nur den Mund, sodass ich nachdenken kann.«
»Hast du denn keine Schmerzen mehr?«
»Es geht mir gut. Ich frage mich, was es mit diesem Dolch auf sich hat. Er steckt so tief in mir drin, und dennoch fühle ich kaum etwas.«
»Wahrscheinlich ist er magisch geladen.« Damit blieb Felix nahe bei der Wahrheit. »In diesem Land gibt es nichts, was
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