Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
kaum um ihn; Angelas Worte hinderten sie daran, sich auf ihn zu stürzen und ihn in Stücke zu reißen.
Da waren Stege und Tritte, die für das menschliche Auge kaum erkennbar waren. Die Gog/Magog fanden und meisterten sie mit schlafwandlerischer Sicherheit. Bald schon fand sich Felix im Inneren des Steinbergs; überall lagen abgenagte Knochen umher, an manchen Stellen waren die Felsen dunkel vom Blut. Und dann der Geruch ... Es roch nach faulen Eiern und nach ranziger Milch.
Doch Felix bekam auch eine Form von Schönheit zu Gesicht, die ihm völlig fremd war. Je tiefer sie in das Steinlabyrinth vordrangen und je weniger Tageslicht die Hohlräume um ihn ausleuchtete, desto faszinierender fand er seine Umgebung.
Da war schlickiges Moos, auf dem Wassertropfen wie Perlen glänzten. Das Restlicht wurde von den Tropfen in allen Facetten des Farbspektrums gebrochen und gegen den Fels geworfen, sodass immer wieder neue, psychedelisch anmutende Bilder vor ihm entstanden und gleich wieder vergingen. Felix entdeckte Zeichnungen, die mit einfachen Stiften in den Stein geritzt worden waren. Viele von ihnen wirkten naiv; doch manche übten eine Faszination auf ihn aus, die er sich kaum erklären konnte. Sie dokumentierten das Leben der Gog/Magog in den Tiefen des Landes auf eine Art, die sich seinem Verständnis entzog – und die er dennoch erahnen konnte.
Dann waren da kleine Tümpel voll schmierigen Wassers, in denen winzige Wesen lebten. Olme und Kröten, die wohl noch nie das natürliche Tageslicht erblickt hatten. Doch sie bewegten sich zielgerichtet und fanden sich weitaus besser als er zurecht.
Fingerlange Heuschrecken, deren phosporeszierenden Rückenzeichnungen den Gesichtern von Menschen ähnelten. Felix glaubte zu erkennen, dass eines der Tiere seine Physiognomie annahm, während er es aufmerksam beobachtete.
Wollknäuel, etwa unterarmlang und Bibern nicht unähnlich; sie unterhielten sich untereinander auf eine Art und Weise, die sie intelligent wirken ließ. Womöglich täuschte sich Felix – doch er glaubte, eine Art Sprache mit sich wiederholenden Wörtern und Begriffen zu erkennen.
Eine Schlange, fast zwei Meter lang, die ihn in Todesangst versetzte. Doch sie blieb friedlich und begleitete ihn für eine Weile, während sie immer weiter in die Tiefe der Unterwelt hinabstiegen. Ruhig glitt sie neben ihm her, zischelte ab und zu, wenn er eine falsche Bewegung tat, und ließ es zu, dass er sich an ihr festhielt, als er in einem Augenblick der Unachtsamkeit den Tritt verlor. Als sie einen etwas größeren Hohlraum erreichten, blieb die Schlange zurück. Felix ertappte sich dabei, dass er ihr zuwinkte. Sie erwiderte den Gruß scheinbar, indem sie mit ihrem Körper mehrere Schleifen zog und das Körperende in einer unendlich sachten Bewegung über seine rechte Hand gleiten ließ. Dann war die Schlange verschwunden, zwischen Gestein, das unzählige Verstecke für sie bot.
»Woher kommt bloß das Licht?«, fragte er Angela und deutete in den Raum, der gut und gern fünfzehn Meter im Durchmesser hatte. »Es ist, als würden wir im Freien in einem Dämmerlicht stehen.«
Drei ihrer Führer knurrten aggressiv, als er zu reden begann. Erst auf eine Bewegung Angelas hin wurden sie wieder ruhig. »Die Tiefe ist die Tiefe«, sagte eines der Wesen. »Sie bietet uns alles, was wir zum Leben benötigen. Auch Licht.«
»Aber woher kommt es?«, wagte es Felix nachzubohren.
»Licht ist da, weil es da sein muss.« Dem Gog/Magog war anzusehen, dass er nicht weiter über das Thema reden wollte. »Kommt jetzt! Der Eingang zum Unterland ist nah, ganz nah!«
Er eilte vorneweg, wie auch seine Landsleute unruhig waren und es kaum mehr an ihrer Seite aushielten. Sie verhielten sich wie junge Hunde, die ihren Bau rochen.
Angela war stehen geblieben. Wie er starrte sie auf die Wände. Auch sie verstand offensichtlich nicht, wo das Leuchten herkam und wie es erzeugt wurde.
Felix rückte näher an sie heran. »Was suchen wir hier unten?«, fragte er leise.
»Die Gog/Magog werden uns helfen«, antwortete sie unbestimmt, ohne ihn eines Blicks zu würdigen.
»Wir spielen mit dem Feuer. Wir sollten umdrehen, solange noch Zeit dazu ist.«
»Du kannst jederzeit gehen, Feigling.« Sie lächelte. »Aber ich weiß, dass du bleiben wirst. Weil du deine Frau liebst. Weil du nicht glauben möchtest, dass sie nicht mehr als Verachtung für dich übrig hat.«
Warum redete sie von sich selbst in der dritten Person? Litt sie an Schizophrenie?
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