Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
Gedanken an Widerstand aufgab. Er wirkte mit einem Mal gebrechlich und hinfällig. Seine Schultern fielen nach vorne, die Hände und der Kopf zitterten.
»Ah, dich holt das Alter ein. Es schmerzt, die Wahrheit vorgehalten zu bekommen. Es ist, als müsste man in einen Spiegel blicken, nicht wahr? Wie überaus interessant ...« Krasarhuu grinste, seine Zähne waren perlmuttweiße Flecken, die aus schwarzsamtener Dunkelheit hervorleuchteten. »Wie lange lebst du schon? Bist du einer der Urahnen? Ein Elf, der die Zeit vor der Zeit kannte und seitdem durch die Reiche wandelt, stets auf der Suche nach Geborgenheit, ohne sie jemals zu finden?«
»Ich bin weitaus mehr als das«, sagte Harmeau leise.
»Mag schon sein. Ich aber sehe bloß einen Greis vor mir, der nicht in der Lage ist, den Künsten eines Schwarzelfen standzuhalten.«
»Weil du ein Geschöpf wider die Natur bist und Gaben besitzt, die niemals beherrscht werden sollten. Du und deine verfluchten Eltern ...«
»Lass meine Eltern aus dem Spiel!«, schrie der Schwarzelf, so laut, dass sich die Gog/Magog an den Ausgabestellen ruckartig nach ihnen umdrehten und sich dann, als sie ihren Anführer erkannten, eng um die Feuerstelle drängten und so taten, als hätten sie nichts gehört, nichts gesehen.
Der wütende Aufschrei des Schwarzelfen hallte wider, wurde endlos weit in die Höhlen getragen. Irgendwo klirrte es, etwas zersprang und krachte zu Boden.
Stille herrschte, nachdem das Echo endlich verhallt war. Sie wurde von Krasarhuu selbst durchbrochen, der lauthals zu lachen begann, und gleich darauf war alles wieder so, wie es sein sollte: Rings um den Aufzugschacht kümmerten sich Wächter um die Entladung einer neuen Lieferung, einige Wächter beobachteten mürrisch die Arbeiten, die meisten anderen gaben sich dem Ritual der Nahrungsaufnahme hin.
»Die Mardegrase werden sicherlich schon unruhig«, sagte der Schwarzelf. »Wir sollten sie nicht länger warten lassen. Kommt, meine Freunde, kommt!« Er winkte, und Arun trippelte ihm hinterher, ob er nun wollte oder nicht. Krasarhuus magische Fähigkeiten waren in der Tat erschreckend stark ausgeprägt. Arun hätte nicht zu sagen vermocht, wo sie herrührten oder wie er sie nutzte. Der Schwarzelf hielt sie allesamt in seinem Bann. Selbst Harmeau, der angeblich so alt und so kräftig war.
Sie erreichten einen Bereich, der ganz anders war als das, was sie hier unten bislang zu Gesicht bekommen hatten. Der Boden war spiegelglatt, reflektierte jedoch nicht, wie auch die kristallenen Wände rings um sie keinerlei Spiegelungen erzeugten. In ihnen waren sie bloß Schemen, die sich vorwärtsbewegten. Oder die Schatten von Gestalten, die sich im Inneren der Mauern befanden? Waren etwa sie die konturlosen Gegenstücke jener Geschöpfe, die sich dort drin aufhielten? Waren sie willenlos und an deren Bewegungen gefesselt, auf ewig gezwungen, deren Wege zu folgen, deren Willen zu erfüllen?
Arun schüttelte den Kopf. Er war frei! Er war ein Individuum, das denken und handeln konnte!
Die Gestalt hinter dem Kristallgemäuer zu seiner Rechten tat dieselbe Bewegung. Womöglich war sie sogar ein klein wenig früher dran gewesen.
»Verwirrt?«, fragte Krasarhuu. »Es ist seltsam hier, und je reinblütiger ein Elf ist, desto mehr Probleme hat er damit, die Kristallschatten zu akzeptieren. Denn sie verlocken. Sie leiten dazu an, sich selbst zu verlieren und ihnen die Herrschaft über den eigenen Körper zu überlassen. Den Gog/Magog hingegen macht es überhaupt nichts aus, hier entlangzugehen.«
Der kristallene Weg führte in breiten Serpentinen in die Tiefe. Wind fuhr fauchend durch die Flammen brennender Fackeln, fachte sie weiter an und sorgte dafür, dass sich beißender Rauch ausbreitete. Unter ihnen bewegte sich etwas, von Nebelschwaden verborgen. Es wand und krümmte sich – und es schrie mit markerschütternder Stimme.
»Die Mutter der Mardegrase freut sich auf unseren Besuch«, sagte Krasarhuu. »Und sie dürfte Hunger haben. Wenn selbst Elfengeruch sie dazu anregt, derart vehement nach Nahrung zu schreien ...«
Arun gefiel ganz und gar nicht, was er dort unten erahnte. Es ähnelte einem Wurm, gut zwanzig Meter lang, dessen Haut von Schweineborsten bewachsen war. Je mehr sie sich dieser Mutter näherten, desto deutlicher schälte sich das Antlitz des Viehs aus dem Nebel, und Arun hätte sich gewünscht, es niemals anblicken zu müssen. Denn es bestand aus einem riesigen, zahnbewehrten Maul, das meist offen stand
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