Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
unerfindlichen Gründen ließen sie die eine Gruppe passieren und wiesen die nächste ab. Handelten sie aus Willkür, oder kannten sie ein eigenes Bewertungssystem? Finn vermochte es nicht zu sagen. Doch er verspürte Angst. Er ahnte, dass, wenn sie einmal dieses Tors verwiesen wurden, sie niemals mehr Zutritt zur Stadt erhielten.
Cronim drängte rücksichtslos dick vermummte Gestalten vor ihnen beiseite. Die drei plumpen Geschöpfe stürzten unter allgemeinem Gelächter in den Sand; niemand störte sich an der Grobheit des Sklavenhändlers.
»Platz da!«, rief der Hübsche und ließ das Kamira durch die breiten Nüstern kräftig durchblasen. »Lasst uns gefälligst durch!«
Die Wartenden wichen zurück, ohne zu murren. In ihrem Verhalten zeigte sich, dass sie es gewohnt waren, sich zu ducken und den Buckel krumm zu machen. Ohne mit der Wimper zu zucken, schluckten sie die Beleidigungen, mit denen Cronim um sich warf. Selbst ein riesiges Geschöpf, fast zweieinhalb Meter hoch und breit wie ein Kasten, auf dessen voluminöser Nase ein riesiges, behaartes Furunkel thronte, trat katzbuckelnd zur Seite. Die Muskeln seiner schweißnassen Oberarme hüpften munter hin und her. Der Gesichtsausdruck des Riesen zeigte, was er von Cronims Verhalten hielt. Doch er hielt sich zurück und blieb ruhig.
Finn bewegte sich ohne sein willentliches Zutun vorwärts. Die Tattoo-Fäden, die seine Beine nach wie vor umwickelt hielten, zwangen ihn, mit Cronim Schritt zu halten. Auch die anderen Menschen und der Helfer des Hübschen drängten sich an den Bittstellern vorbei. Der Kommandant von Durals Turm hielt eine Peitsche in der Hand und gab sich herrisch, bedrohlich. Er würde keinerlei Widerspruch dulden.
Einer der Torwächter kreuzte lange Klingen vor seiner breiten Brust. Er sagte etwas zu Cronim, was Finn nicht verstand. Der Postenkommandant antwortete ebenso leise, und noch während er redete, übergab er dem Vermummten drei kleine Säckchen, die dieser mit geschickten, geübten Bewegungen hinter seinen Gesichtstüchern verschwinden ließ.
»Weiter!« Der Hübsche grüßte spöttisch nach links und rechts, machte sich ein weiteres Mal über die Wartenden lustig und führte dann sein Kamira durch das riesige Tor. Die Schritte des Tiers klangen hohl auf den mannsdicken Holzbohlen.
Finn trat zwischen die halb geöffneten Flügeltüren und blickte in Dunkelheit. Der Zugang zur Stadt verlief durch einen Tunnel, der mindestens zwanzig Meter lang war. Von der Decke hingen drei hintereinander angeordnete Sperrgitter, bereit, jederzeit herabzustürzen. Auch in den Seitenmauern zeigten sich stählerne Spitzen, die auf weitere, rasch aktivierbare Verschlussmechanismen schließen ließen.
Vorsichtig setzte Finn einen Schritt vor den anderen. Unter ihm klang es hohl. Fallgruben waren ein weiterer Bestandteil dieses vielfach geschützten Durchgangs, und wenn ihn sein Gefühl nicht täuschte, dann lauerten im Dunkeln, hinter den Mauern, sinistre Gestalten, die nur darauf warteten, dass Finn einen Fehler beging.
»Kommt schon!«, rief Cronim von der anderen Seite des Durchgangs. »Der Sklavenmarkt eröffnet bald zur nachmittäglichen Auktion.«
Anais schloss zu Finn auf. »Und jetzt?«, fragte sie ihn leise. »Wie sollen wir verhindern, dass er uns verkauft?«
»Lass mir ein wenig Zeit«, gab er zur Antwort. »Ich muss mich orientieren. Einen Plan austüfteln.«
»Wir hätten in der Wüste etwas versuchen sollen«, meinte die Frau ärgerlich. »Als uns die Begleitsoldaten verließen, wäre die Gelegenheit günstig gewesen.«
»Ich weiß.« Sie schritten ein wenig schneller aus, nachdem Cronim die Peitsche bedrohlich laut durch die Luft sausen ließ. »Aber sag mir: Wann ist dir dieser Gedanke gekommen? Eben erst, nicht wahr?«
»Was für eine seltsame Frage.« Anais blickte ihn verwirrt an. »Natürlich schon viel früher, als ...« Sie schüttelte verwirrt den Kopf und stierte ins Leere so als müsste sie angestrengt nachdenken. »Ich weiß es nicht«, gestand sie. »Ich erinnere mich lediglich daran, dass ich vor dem Tor stand und mich ärgerte, dass wir nicht schon früher die Initiative ergriffen haben.«
»Ich befürchte, dass Cronim Macht über uns besitzt. Auf irgendeine Art und Weise beherrscht er unseren Geist und zwingt uns, gewisse Dinge aus unseren Köpfen zu verbannen.«
»Das ist hanebüchener Unsinn!«
»Du würdest nicht so denken, wärst du in Irland geboren und aufgewachsen. Es gibt nun mal Dinge, die sich nicht
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