Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
Destilliergefäße, Athanor-Öfen und Buchschwarten, die so groß und so schwer waren, dass sie ein Mensch wohl kaum zu heben vermochte.
An einem der Stände wurden Peitschen mit Silbergriffen angeboten. Kupferne Folterwerkzeuge mit feinster Ziselierarbeit. Riesige Schürhaken. Brandzeichen. In unzählige Facetten gebrochene Edelsteine, fast faustgroß die an groben Haken hingen und wahrscheinlich als Intimschmuck verwendet wurden.
Ein Sklave wurde von zwei seiner Leidensgenossen mit Paddeln verprügelt. Muster, die in das Leder des Schlaginstruments eingearbeitet worden waren, zeigten sich auf den Pobacken und am Rücken des armen Kerls.
Gleich gegenüber stritt man sich um muskulöse und gut bestückte Männer, die ihr Gehänge ohne Scham zur Schau stellten. Manch eine Dame, die in einer Sänfte hergetragen worden war, packte ihren Auserwählten und verschwand mit ihm in einem der nahen Tordurchgänge, um dort völlig ungeniert zu kopulieren.
Weiter ging es. Laura verwarf den Gedanken, im Gedränge einen Fluchtversuch zu wagen. Angesichts ihres prägnanten Aussehens würde sie nicht weit kommen. Auch zeigten sich überall aufmerksam wirkende Wächter, die jenen am Stadttor ähnelten.
Am anderen Ende des Marktes herrschte das größte Gedränge. Seltsame Gestalten wurden dort angeboten.
Nein: Sie boten sich selbst an.
»... aus dem Hause Trismesta verstoßen«, rief ein kleiner, dickleibiger Kerl, dessen nackter Leib von Narben verunstaltet war. »Seht mich an! Ich bin hässlich! Ich bin abstoßend! Ich gebe das ideale Spielzeug ab und bin es gewohnt, die Peitsche und feinste Folterinstrumente zu spüren. Ich erzähle euren Kindern, was es bedeutet, arm zu sein ...«
Unmittelbar daneben stand eine klapperdürre Frau mit gebeugtem Rücken. Die Hand an ihrem Stützstock zitterte. »... lernt das Alter leibhaftig kennen! Seht zu, wie ich weniger werde, wie ich allmählich verfalle und irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit, tot umfalle ...«
Sie wurde kaum gehört, denn hinter ihr saß ein seltsames Pärchen, das nur wenig gemein hatte - und dennoch zusammengehörte. Es handelte sich um Zwerge, deren klobige Körper aschfahl waren. Der eine war gut einen Kopf größer als der andere. Die Gesichter waren schrecklich entstellt. Anstelle der Nasen sah Laura schorfige Löcher mit entzündeten Rändern.
Die beiden sagten synchron: »Wir machen alles! Wir sind für jeden Haushalt eine Bereicherung! Füttert uns mit Silberstaub, einmal am Tag. Nur eine Nase voll! Bitte! Seht uns zu dabei, wie wir vergehen und weniger werden, wie wir an unserer Sucht sterben; nehmt uns auf und ergötzt euch an unserem Leid! Gewährt uns die Gunst eines vom Silberstaub verursachten Todes. Lasst uns nicht auf der Straße verrecken, zitternd und von innen her aufgefressen von unseren Schmerzen. Bitte!«
Laura wandte den Blick ab und hielt sich die Ohren zu. Sie konnte nicht mehr zusehen, fand keine Kraft mehr, und ihren Begleitern ging es ebenso.
Sie verstand: Die Wesen, die sich hier selbst anboten, hatten längst jede Hoffnung fahren lassen. Sie boten sich den sensationsgeilen Städtern als Attraktion an, um in trügerischem Schutz der Häuser ein paar letzte angenehme Tage zu verbringen, bevor sie vor den Augen ihrer Besitzer starben.
Und die Bewohner rissen sich um diese traurigen Gestalten! Sie nahmen, was sie bekamen. Um zuzusehen und aus sicherer Entfernung mitzuerleben, was es bedeutete, Schmerzen zu haben und zu sterben. Denn diese Dinge, so ahnte Laura, waren in der Stadt der goldenen Türme verpönt. Leiden und Tod waren hier abgeschafft.
Nachdem sie den Markt hinter sich gelassen hatten ging es ein Stückchen bergan. Durch Straßen mit Häusern, deren Dächer sich eng aneinanderlehnten. Vögel zwitscherten, Blumen wuchsen in sonnenbeschienenen Nischen. Nichts deutete hier auf das Grauen hin, das sie eben erst gesehen hatten.
»Dort oben beginnen die Hängenden Gärten.« Najid deutete auf einen Zweckbau, der so gar nicht in diese Gegend passte. »Aljoi und Shawen - ihr wisst, was ihr zu tun habt!«
Einer der beiden Riesen eilte ein Stück nach vorn und öffnete mit einem Ruck ein riesiges Tor in der Vorderfront des Sklavengeheges. Sein Kollege scheuchte Laura und die anderen Menschen vor sich her wie eine Herde Schafe, bis sie alle den Weg ins Innere gefunden hatten.
Es stank erbärmlich. Nach Kot und Urin, nach Schweiß, nach Unrat.
Das Tor fiel hinter ihnen ins Schloss. Angenehmes Licht umfing sie. Najid nahm
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