Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
der unheimlichen Riesen auf sich ruhen. Die beiden hatten einen sechsten Sinn für das Verhalten der Menschen.
Najid pfiff fröhlich vor sich hin. Er genoss seinen Vorteil, und er unternahm alles, um die Menschen zur Weißglut zu treiben. Laura hatte selten zuvor einen derart brennenden Hass auf jemanden empfunden.
Immer wieder musste ihr gut bewachter Zug Stadtbewohnern ausweichen, die in Sänften, Tragen, Karren oder auch rikschaähnlichen Gefährten transportiert wurden. Die Herrscher der Stadt, so viel war auf den ersten Blick ersichtlich, waren menschenähnliche Geschöpfe, deren Köpfe spitz zuliefen und meist mit den unmöglichsten Farben und mit seltsamen Mustern beschmiert waren. Sie hatten einen blassen Teint, und alles an ihrem Gehabe deutete darauf hin, dass sie kaum jemals einen Finger krumm machten. Handlanger und Diener, die unterschiedlichsten Völkern angehörten, lasen ihnen jeden Wunsch von den Augen ab.
Laura blickte in die Seitengassen und -wege. Sie orientierte sich. Sie wollte sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, im Fall der Fälle zu wenig unternommen zu haben, um einen Ausweg aus ihrer Zwangslage zu finden.
Die Häuser waren ohne Ausnahme prunkvoll verziert. Sie glänzten im Sonnenschein, der in breiten Bahnen durch die Gassen und Straßen fiel. Gold war das vorherrschende Element der Stadt. Überall war der rote oder der helle Schimmer des so wertvollen Edelmaterials zu sehen. Nach einer Weile verlor der Anblick matt leuchtender Vertäfelungen, Verzierungen, Fensterbeschläge und Türknäufe, Wegtafeln, Brustharnische und vieler anderer Dinge für Laura jegliche Attraktivität, während sich Zoe, die wenige Schritte hinter ihr folgte, kaum sattsehen konnte. Sie bekam nur mit Mühe den Mund zu, und wenn die Situation nicht so bitterernst gewesen wäre, hätte Laura einige spitze Bemerkungen über den Sabber angestellt, der sich im Mund der Freundin sammelte.
Sie konzentrierte sich wieder auf die Umgebung. Keines der Gebäude war höher als vier Stockwerke. Runde Formen beherrschten die hiesige Architektur; doch es gab auch Ausnahmen; klobige Kästen, die keinerlei Fenster besaßen und von düsteren Gestalten bewacht wurden.
»Nehmt sie mehr an die Kandare, Aljoi und Shawen!«, befahl Najid seinen stummen Kumpanen. »Haltet euch links der Straße.«
Der Sklavenhändler wirkte nervös, und Laura ahnte jen Grund: Vor ihnen öffnete sich die Straße zu einem großen Platz, auf dem an unzähligen Marktständen gehandelt und getauscht und gefeilscht wurde. Gewiss fürchtete er angesichts des Gewirrs einen Ausbruchsversuch der Menschen.
»Denkt nicht einmal dran, wenn euch euer Leben lieb ist!«, sagte der Kleine, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Meine beiden Leibsklaven kennen keine Gnade. Zeig ihnen, was ich meine, Aljoi.«
Die etwas größere der beiden grobschlächtigen Gestalten holte mit einem ihrer affenartig langen Arme aus und schleuderte Milt gegen die steinerne Front eines Patrizierhauses. Einfach so, ohne Grund!
Zoe stieß einen Schreckensschrei aus und eilte dem schlaksigen Mann von den Bahamas zu Hilfe. Um ihm hochzuhelfen, um ihn von hier fortzuschleppen, bevor die beiden Wächterriesen ungeduldig wurden und ihn noch weiter grundlos quälten.
Laura stockte das Herz, als Milt Blut spuckte. Schwerfällig schleppte er sich weiter, von Zoe und Andreas gestützt. Nur zu gern wäre sie ihm ebenfalls zu Hilfe geeilt. Doch sie konnte nicht. Durfte nicht. Sie wollte ihren Platz an der Spitze des kleinen Zugs nicht aufgeben. Noch immer hoffte sie darauf, dass sich eine Gelegenheit ergab, Najid zu erreichen, ihn zu packen und für seinen Verrat zur Verantwortung zu ziehen. Aljoi und Shawen würden irgendwann einmal in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen, ganz gewiss ...
Sie erreichten den Markt.
Falsch: Hier wurde nicht gehandelt; die Stadtbewohner stritten um wertvolle Stoffe, um Nahrungsmittel, um Waffen, um Prunk und Protz. Niemand nahm Geld in die Hand, um für die Waren zu bezahlen. Alles wurde gratis verteilt, und es ging den Stadtbewohnern lediglich darum, so viel wie möglich der begehrtesten Artikel zu erhaschen.
Sie schickten Diener aus, um in ihrem Namen an Cremes, Seidentücher, Edelsteine, Geschmeide, Duftwässerchen, Kräuter, Küchengeräte und Alltagsgegenstände aus mattem Gold zu gelangen. Rüstungen waren ebenso dabei wie Waffen, aber auch Gegenstände, die Laura einer Alchemie-Werkstätte zuordnete: Stößel und Mörser, Destillierkolben und
Weitere Kostenlose Bücher