Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
einzusperren, und wird bald eintreffen. Welchen Weg wird sie nehmen?« Er sah Rudy an. »Wo sind die Trolle hin?«
Der Däne deutete auf den zweiten Gang von rechts.
»Gut, der fällt aus, denn der führt tiefer in die Stollen hinein. Trolle mögen kein Tageslicht, und die Sonne lässt sie versteinern, also nehmen sie den entgegengesetzten Weg. Ist es nicht so?«
Einige nickten. »Wenn die Märchen zutreffen ...«
»Der rechte Gang sieht mir auch danach aus, dass er tiefer hineinführt, wahrscheinlich in ein zweites Verlies. Bleiben also noch drei. Alle sind beleuchtet, demnach in Betrieb. Sollen wir knobeln?«
Angela schritt die drei Gänge ab und blieb bei dem mittleren stehen. »Hier kommt ein frischer Luftzug raus.«
»Also dann, Tor zwei!«, rief Cedric. »Ich gehe dort hindurch, ihr anderen wählt selbst.«
Sie wählten alle den mittleren Gang. Der ausgetretene Boden bewies, dass er sehr viel häufiger benutzt wurde als die anderen Gänge, also lagen sie vermutlich richtig. Die Gefahr, den Truppen direkt in den Weg zu laufen, war groß, andererseits war dies vielleicht auch der kürzeste Weg. Der Gang war eng, sie hatten also Chancen im Kampf.
Allerdings wunderten sie sich nicht wenig über dieses unterirdische Netz. Wer baute ein Verlieslabyrinth? Jemand, der zu viel Zeit hatte?
»Entspricht das nicht dem Charakter eines Drachen?«, fragte Simon unterwegs. »Die lieben doch Labyrinthe, wo sie überall ihre Schätze verstecken. Vielleicht hat das Alberichs Spieltrieb befriedigt. Oder er hat noch eine Menge vor, was er im Verborgenen vorantreibt.«
»Ja, er bereitet sich auf etwas vor, den Eindruck hatte ich auch«, murmelte Angela.
»Wahrscheinlich einen Krieg«, bemerkte Reggie trocken. »Das wird nicht ausbleiben. Nicht jeder in Innistìr wird sich ihm freiwillig unterwerfen, und irgendwann gerät er an den Verkehrten, der ihm Paroli bietet.«
Sein letztes Wort wurde von einem Schrei hinter ihnen zerrissen. »Da sind sie!«
»Lauft!«, brüllte Cedric.
Schneller als gedacht waren ihnen die Verfolger auf den Fersen. Die Menschen rannten den Gang entlang, und als er sich verzweigte, teilten sie sich ohne Absprache auf. Ab jetzt war sich jeder selbst der Nächste, musste zusehen, nach draußen zu kommen, und dann würden sie schon wieder zusammenfinden. Es hatte keinen Sinn, über die Folgen nachzudenken - eine andere Wahl als die Improvisation hatten sie nicht. Doch alles schien besser zu sein, als weiter in dem dunklen, feuchtkalten Verlies zu sitzen, ohne Aussicht, ohne ... etwas tun zu können.
Das Labyrinth verzweigte sich immer mehr, die Gänge wurden dunkler und älter, Staub wirbelte auf, die grob behauenen Wände rückten näher. Die Fliehenden rannten kreuz und quer, bogen ab, sobald sie die Stimmen der Verfolger hörten. Irgendeinen Weg würden sie später dann schon finden, um nach oben zu gelangen. Vielleicht sogar nach außerhalb des Palastes, ins Freie ...
Doch zunächst galt nur: nichts wie weg.
Auf diese Weise verzettelten und verstreuten sie sich immer weiter.
Die sechzigjährige Agnes konnte schließlich nicht mehr mithalten; ihr war schon lange die Puste ausgegangen, und jetzt ging es einfach nicht mehr weiter. Sie machte sich nicht bemerkbar, ließ die anderen laufen versteckte sich einfach in einer Nische und schnappte nach Luft.
Erst als sie wieder einigermaßen Atem hatte, ging sie weiter - und in einen anderen Gang hinein, den sie auf dem Weg erspäht hatte. Er lag im Halbdämmer, anstatt Fackeln brannten kleine Öllämpchen in größeren Abständen.
Auch dieser Gang musste benutzt werden, wozu sonst sollte die Beleuchtung gut sein? Außerdem musste jemand regelmäßig Öl nachfüllen und die Fackeln ersetzen. Aber wozu diente dieses Labyrinth? Agnes hatte keine Vorstellung. Es sei denn ... hier lebten Wesen, die keine Gefangenen waren. Wesen, die das Tageslicht scheuten oder die ... im Verborgenen gehalten werden sollten, damit niemand von ihrer Existenz erfuhr ...
Agnes musste unwillkürlich schlucken. Franz hätte sich wahrscheinlich wieder über ihre Fantasie amüsiert, doch so weit hergeholt war diese Überlegung gar nicht. Wenn sie nur an diese grimmigen Wächter dachte ... und die Trolle - wer konnte wissen, was hier noch alles lauerte!
Hoffentlich begegnete sie keinem solchen Wesen! Sie hätte sich nicht gewundert, wenn der Minotaurus um die Ecke gebogen wäre. In jeder Legende steckte ein Körnchen Wahrheit, das wusste Agnes nunmehr. All die
Weitere Kostenlose Bücher