Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
du. Du bist auch ich.«
»Ich ... b... bin ... du ? Oh.« Die Ohnenamenfrau legte die Hand an ihren Mund. »Ich«, das hörte sich gut an. Es passte zu ihr. Gehörte zu ihr. »Ich«, sagte sie laut. »Ich, ich.« Fast wie ein Name. Und der Schattenriss war »du«. Nicht der »du«, mit dem sie vorhin gesprochen hatte, als sie das Schauspiel betrachtet hatte, aber das war auch so gut.
»Möchtest du Wein und Brot?«, fragte »du«.
»Ich ...« Seltsam, wie leicht es ihr von den Lippen ging, nachdem sie es das erste Mal gehört hatte. Es war schon ganz vertraut. »Ich bin niemals hungrig oder durstig.«
»Nein? Wie ist das möglich? Du siehst doch so aus wie ich.«
»Niemand sieht so aus wie ich.«
»Hast du noch nie in einen Spiegel geblickt?«
»Spiegel?«
»Verstehe. Also auch kein Wasser?«
»Es gibt kein Wasser. Denn ich brauche keins.«
»Also, möchtest du Wein und Brot?«
Die Ohnenamenfrau überlegte. Etwas war entschieden anders. Aber die Hütte war da und der Schattenriss. Sie nickte. »Aber nur ein bisschen. Damit ich weiß, was es ist. Ich habe schon viel gelernt heute. Ich will mehr lernen.« Erneut fuhr die Hand hoch zum Mund. »Will«, woher kannte sie dieses Wort? Und »lernen«. Was hatte das zu bedeuten?
Der Schattenriss lächelte. »Gut«, sagte er. »Sehr, sehr gut.«
9
Der Rachen, der beisst
Die Klauen, die zuschlagen
E s dauerte. Angela wurde unruhig. »Gibt es Schwierigkeiten?«
»Diese Dinge brauchen ihre Zeit«, erwiderte Alberich. »Es darf kein Fehler passieren.«
Fackeln flackerten um sie herum. Angela fühlte sich nicht wohl im Labyrinth, obwohl sie davon fasziniert war. Doch hier unten gab es keine Fenster, die Luft roch abgestanden und alt, als würde sie niemals herausfinden, und auch der Dunst nach etwas Totem war mit dabei. Die Gänge waren eng und verwinkelt, und sie hätte den Weg zurück von dieser Halle aus nicht gewusst.
Es war still, sämtliche Wachen lagen oben im Kampf. »Hast du alle herausgeholt?«
»Die Trolle? Nein, einige sind noch hier unten angekettet.«
»Und abgesehen von dem, was du gerade rufst ... was gibt es sonst noch hier?«
Er grinste. »Das zeige ich dir später einmal, wenn du gefestigter bist und deine Ausbildung beendet ist. Ich werde dir alles zeigen, damit du dich auch allein zurechtfindest.«
Angelas Herz schlug schneller. Er hatte es erst einmal erwähnt. Sie war davon ausgegangen, dass er es nicht ernst gemeint hatte, sondern dass es Teil seiner Verführung gewesen war. »Also werde ich die Königin?«
»Königin und Statthalterin, während ich die Anderswelt erobere. Ich brauche schließlich eine gute, geschützte Basis.« Er legte ihr den Arm um die Taille und drückte sie kurz an sich.
»Hast du jemals jemandem derart vertraut?«
»Ab und zu. Meine Enkelin, die denselben Namen trug wie du, hätte einst diese Position einnehmen sollen, doch nun bist du es.«
»Ein Glück, dass ich kein Abkömmling von dir bin, sonst würde mir etwas fehlen.« Sie lächelte anzüglich, ihre Hand glitt über seinen Rücken hinab.
»Ah, das würde nicht stören«, schmunzelte er. »Ich würde dich immer begehrenswert finden.«
Sie hätte schockiert sein sollen, aber sie war es nicht. Auch bei den Menschen vergangener Jahrtausende war Inzest nicht unmoralisch gewesen. »Dafür, dass du heute explizit schlechte Laune hast, bist du sehr charmant mir gegenüber.«
»Das machen deine Anwesenheit und meine Vorfreude.« Alberich grinste boshaft.
Angela war fasziniert davon, wie er Konversation mit ihr führen und gleichzeitig mächtige Magie wirken konnte. Er tat dazu nichts Sichtbares, aber seine Aura leuchtete stark, schlug manchmal sogar Funken.
Ein weit entferntes »Ping«. Dann rasselte es metallisch. Angela konnte nicht orten, woher es kam, irgendwo hinter meterdicken Felsen verborgen, ein magischer Schall.
»Die erste Kette.« Alberich wirkte zufrieden.
Die ganze Zeit über war Angela gefasst auf einen dieser schrecklichen, schauerlichen Schreie, die sie damals während der Flucht in Atem gehalten hatten. Doch es blieb still. »Warum schreit es nicht?«
»Es wartet darauf, freizukommen. Es ist ebenso tödlich wie lautlos in der Annäherung.«
»Dann sind wir ihm hoffentlich nicht im Weg?«
»Keine Sorge.«
Angela fühlte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Kam da nicht ein kühler Luftzug von irgendwoher? Aber nein, das bildete sie sich nur ein. Es war ja erst die erste Kette. »Wie viele gibt es?«
»Fünf.«
Alberichs
Weitere Kostenlose Bücher