Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
du irgendeinen Unsinn vorhast ...«
Nidi seufzte, sprang mit einem Satz auf den Fenstersims und verließ die Hütte.
Finn folgte ihm bis zum Fenster, aber als er hinaussah, entdeckte er nur Dorfbewohner. Der Schrazel war verschwunden.
»Und jetzt?«, fragte er.
Laura hob die Schultern. »Wir warten und hoffen, dass er nichts klaut?«
Nidi neigte dazu, schöne Dinge zu sammeln, wie er es nannte, was gelegentlich zu Konflikten mit den ehemaligen Besitzern dieser Dinge führte. Für ihn war es ein Spiel.
Finn öffnete die Tür. »Ich warte draußen«, sagte er und trat dann hinaus ins warme Sonnenlicht. Der Gedanke, an diesem Ort gefangen zu sein, machte ihn nervös. Sein Leben lang war er durch die Welt gereist, hatte sich nie an einen Ort oder einen Menschen gebunden und jeden Tag als Abenteuer betrachtet. Das Leben der Dorfbewohner, eingesperrt und monoton, erschien ihm wie ein Albtraum.
Aus den Augenwinkeln sah er, dass Milt und Laura ihm folgten. Gemeinsam gingen sie die schützende Kuppel ab. Ihre Grenzen waren leicht zu erkennen. Auf der einen Seite gab es Gras und Erde, auf der anderen nur nackten Fels. Finn schätzte, dass das Dorf mit seinen Gärten und einem kleinen Feld einen Durchmesser von nicht einmal hundert Schritten hatte. Die Männer, die er sah, nickten ihnen zu, wenn ihre Blicke sich trafen, die Frauen lächelten schüchtern oder wandten sich ab, so als wäre ihnen die Aufmerksamkeit der Fremden unangenehm. Finn sah nur Erwachsene, weniger als ein Dutzend, und keine Kinder. Wahrscheinlich war es zu gefährlich, an einem solchen Ort eine Familie zu gründen.
»Warum spricht uns keiner an?«, fragte er, nachdem sie das Dorf fast umrundet hatten. »Wenn ich in einer solchen Isolation leben müsste, würde ich mich nach jeder Abwechslung sehnen.«
»Vielleicht trauen sie sich nicht.« Laura war ebenfalls stehen geblieben, um eine Ziege hinter dem Ohr zu kraulen. »Sie haben seit Jahrhunderten keinen Fremden mehr gesehen.«
»Oder sie warten auf Harlenns Erlaubnis«, sagte Milt. »Ohne ihn oder sie scheint ja hier nichts zu gehen.«
Als Finn an den mumifizierten Mann auf dem Bett und die Frau mit dem Schleier dachte, hätte er sich beinahe geschüttelt. Etwas zutiefst Falsches, ein anderes Wort fiel ihm nicht ein, war von den beiden ausgegangen, so als sei allein ihr Anblick widernatürlich und pervers.
»Ich weiß, dass die Leute hier uns gerettet haben«, sagte er leise, »aber ich kann sie trotzdem nicht leiden.«
»Ich auch nicht.« Milt klang erleichtert, hatte anscheinend den gleichen Gedanken gehabt, aber nicht gewagt, ihn auszusprechen.
Laura strich der Ziege über den Kopf. »Wir werden ihnen helfen, egal, was wir von ihnen ...«
»Ach hier seid ihr.« Nidi schwang sich vom Dachbalken einer Hütte. »Ich habe das ganze Dorf nach euch abgesucht.«
»Kann ja nicht lange gedauert haben«, murmelte Finn.
Der Schrazel ignorierte ihn. »Kommt«, sagte er stattdessen. »Harlenn will euch sprechen.«
»Warum?« Laura klang misstrauisch.
»Weil ich ihn darum gebeten habe.«
Nidi lief voran, Finn und die anderen folgten ihm.
»Hast du mit ihm gesprochen oder mit ihr?«, fragte Milt.
»Genau das ist euer Problem.« Nidi antwortete, ohne stehen zu bleiben. »Ihr haltet euch mit unnützen Fragen auf. Es gibt sie nicht, nur ihn. Sie ist sein Werkzeug.«
Er drehte sich zu ihnen um. »Stellt euch vor, ihr wolltet ein Stück Fleisch von meinem Teller. Wen würdet ihr darum bitten, mich oder die Gabel?«
Es klang menschenverachtend, auch wenn Finn klar war, dass der Schrazel es nicht so meinte.
»Während ihr über die Gabel nachgedacht habt, bin ich zu dem gegangen, der sie hält, und habe ihn um ein Stück Fleisch gebeten.« Nidi unterbrach sich. »Also nicht wirklich um ein Stück Fleisch. Das ist nur ein Bild.«
»Und um was hast du ihn gebeten?«, fragte Milt.
»Er wird euch alles erklären.«
Sie gingen an einem Hühnerstall vorbei und betraten den Dorfplatz, an den Harlenns Hütte grenzte. Finn blieb stehen, als er Bron und zwei andere Männer sah. Sie standen dort und unterhielten sich sichtlich aufgeregt.
Bron bemerkte sie im gleichen Moment. »Dankt ihr uns so eure Rettung?«, rief er wütend. »Indem ihr unsere Bräuche mit Füßen tretet? Wir haben euch verboten, mit Harlenn zu reden, aber ihr habt es trotzdem getan.«
Die beiden anderen Männer nickten. Einer war der Grobschlächtige, dem bereits Finns Unterbrechungen nicht gefallen hatten.
»Wir sollten euch ins Tal
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