Schattenlord 7 - Das blaue Mal
zurück, und für einige Sekunden hatte Shire das Gefühl, als wäre er verschwunden. Doch sie musste sich getäuscht haben. Denn er war da, in graues Grau gehüllt, von noch mehr Grau umgeben. »Reden wir davon, was ich Euch anbieten kann.«
»Und zwar?«
»Dreihundert Jahre Leben für Arachie Larma. Die Schwarzseherin wäre von ihrem Zwang entbunden, weitere Tücher zu weben. Sie könnte Euch in dieser Zeit bei Euren Plänen unterstützend zur Seite stehen.«
»Und danach?«
»Stirbt sie. So einfach ist das.«
»Was ist Euer Preis, Herr Abesque?«
»Es wird Euch nichts kosten.«
»Wie bitte?«
»Es gibt Chancen, sich die eigene Existenz zu versüßen, die man keinesfalls verpassen sollte. Dies ist eine davon. Es wird eine ganz besondere Erfahrung für mich sein, die Änderung im Zeitenlauf durch das Weiterleben der Schwarzseherin beobachten zu dürfen.«
Die Worte des Mannes erzeugten ein unangenehmes Kribbeln in Shires Magen. Dennoch - die Aussicht, Arachie Larmas Leben verlängern zu können, war zu berauschend, zu verlockend ... »Ich bin einverstanden«, sagte sie.
»Dann haben wir einen Pakt. Dreihundert Jahre.« Herr Samhain sah sich ein letztes Mal in der Bibliothek um. Er drehte sich um die eigene Achse und blickte dann gegen die Decke des hohen Raums. »Vielleicht wäre es angebracht, einen Teil des Höhlenpalasts nur für Frauen einzurichten.«
»Dies ist kein Ort, in dem sich Frauen und Männer getrennt voneinander über neue Erkenntnisse und altes Wissen unterhalten sollten. Wir sind alle gleich.«
»Es war ja nur ein Vorschlag.« Herr Samhain verließ sie ohne ein Wort des Grußes, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Er trat hinaus auf die breite Plattform, von der aus man nur noch eine beschränkte Sicht auf die stetig wachsende Stadt hatte. Die Reihen der Gebäude reichten schon bis zum Palast hoch.
Shire folgte dem Gesandten; doch er hatte bereits sein Reittier bestiegen und hetzte davon, als wären Dutzende böse Geister hinter ihm her.
Wird er Wort halten? Und wann?
Sie blickte zwischen Häuserfronten in die Tiefe, auf jenen kleinen Ausschnitt des Weißen Hauses, der noch erkennbar war. Dort unten lag Arachie Larma im Sterben, nach langem Leiden. Wenn der Herr von Annuyn Wort hielt, würden der Schwarzseherin noch viele gute Jahre vergönnt sein.
Da taumelte jemand aus dem Weißen Haus. Eine Frauengestalt, die verwirrt und verwahrlost wirkte. Auf nackten Füßen betrat sie den Vorplatz, fiel auf die Knie, schob den Kopf in den Nacken und schrie, wie Shire niemals zuvor jemanden schreien gehört hatte.
9
Der Efarin
und die Maske
Z oe kam zu sich. Sie wurde gestützt und einen Gang entlanggeführt, der ihr bekannt vorkam. Seltsame Töne waren rings um sie und Lichter, deren Intensität sich stetig änderte.
»Wo ... Was ...?«
»Scht!«, hörte sie die Stimme einer Frau, deren Klang ihr vage bekannt vorkam. »Wir sind gleich zu Hause.«
Zu Hause ... Wie schön sich das anhörte! Aramie - so hieß doch die Frau, oder? - würde ihr helfen. Ihr konnte sie vertrauen.
Zoe wurde weitergeschleppt. Immer wieder versuchte sie, ihre Beine voreinander zu setzen, Schritt für Schritt, doch es wollte ihr nicht gelingen. Sie wirkten wie Fremdkörper. Wie schwere Klumpen, die an ihr zerrten und keinesfalls das taten, was sie von ihnen erwartete.
Die Stimmen ringsum, die flackernden Lichter ... sie gehörten nicht hierher!
Die Dienerinnen ächzten unter der Last ihres Körpers, doch sie sagten kein böses Wort. Anstandslos transportierten sie Zoe zu ihrem Wohnbereich, zu ihrem Zimmer, um sie dort auf das gut gepolsterte Bett zu legen und sie sorgsam zu entkleiden.
Aramie trat neben sie. Sie zeigte ein beunruhigtes Gesicht. »Es geht dir nicht gut, Herrin. Einzig und allein Lirla ist in der Lage, dir zu helfen; doch ich befürchte, dass sie erst in drei Tagen zurückkehren wird. Sie holt sich eben Maletorrex’ Belohnung ab.«
»Was ist mit ihr geschehen?« Aramie hielt ihr sachte ein Behältnis an den Mund, und Zoe trank vorsichtig.
»Der Priester verfügt über besondere Gaben«, flüsterte die Dienerin. Sie drehte sich nach allen Seiten um, als ängstigte sie sich vor einem unsichtbaren Zuhörer. »Er hat einen Efrain in deinen Körper gejagt. Einen Schmerzgeist, dumm und willfährig, der in der Lage ist, dich und deine Gedanken vollends zu beherrschen.«
»Einen Efrain?«
»Ja. Ich weiß nicht viel über sie, aber man munkelt, dass sie in den Kartausen der Priester aus
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