Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Dienerinnen warteten auf sie, tupften ihr Schweiß von den Schultern und vom Hals und legten ihr dann einen flauschig weichen Mantel um. Zoe bemerkte erst jetzt, wie erhitzt sie war - und wie kühl die Räume.
Sie griff nach dem Rand der Maske und zupfte vorsichtig daran. Er ließ sich ein wenig lösen, blieb aber dann doch an ihrem Gesicht haften.
»Hilf mir, bitte!«, forderte sie Lirla auf.
»Wobei? Die Sgàile ist ein weiteres Insignium deiner Macht wie das Blaue Mal. Die Maske ist Teil der Gesandten, im wahrsten Sinn des Wortes.«
»Aber doch bitte schön nur, wenn ich mich den Bewohnern Dar Anuins zeigen muss!«
»Da irrst du dich, Herrin. Die Sgàile ist untrennbar mit dir verbunden. Bis zu deinem Tod.«
10
Intermezzo:
Die Wahrheit über
Dar Anuin (V)
D er Priesterkönig war gestorben, Sinenomen hatte die Herrschaft an sich gerissen. Was für Umwälzungen, was für Katastrophen, die Innistìr mit einem Mal überrollten!
Doch für Shire war dies alles von minderer Bedeutung. Sie hatte andere Sorgen, andere Probleme. Sie hatte sich auf ein Geschäft eingelassen und damit einer Freundin dreihundertjähriges Leid beschert.
Arachie Larma schrie und schrie, voller Wut und Verzweiflung und Angst, wie eine Verrückte. Wenn sie sich zwischendurch einmal beruhigte und ansprechbar war, verlegte sie sich darauf, wüste Beschimpfungen in Shires Richtung auszustoßen.
»Du hast mir meinen Tod gestohlen!«, brüllte sie dann. »Hast mir meine Bestimmung gestohlen und all meine Prophezeiungen unbrauchbar gemacht - mit Ausnahme derjenigen, die ein schreckliches Ende Dar Anuins zeigen. Du hast unser aller Leben zerstört und all das, was wir gemeinsam aufgebaut haben!«
»Ich wusste nicht ...«
»Natürlich wusstest du nicht! Weil du niemals auf meine Warnungen hörtest und stattdessen mit Abelae herumscharwenzeltest. Weil er dir wichtiger war als das Wohl der Stadt! Das Blaue Mal hätte dir Warnung genug sein sollen: Du bist einzig und allein Dar Anuin verpflichtet. Du bist die Stadt, die Stadt ist du!«
Shire trat näher an das Lager der Schwarzseherin heran. Wollte die Stirn der Frau berühren, ihr die wirren Haare aus dem Gesicht streicheln und die schwärenden Narben pflegen, die dort entstanden waren, wo einstmals die Tücher gelegen hatten.
»Bleib mir ja vom Leib!«, geiferte Arachie Larma und warf sich einmal mehr gegen die magischen Bänder, die sie an ihre Liegestatt fesselten. Sie spuckte in ihre Richtung und fauchte, blieb dann eine Weile ruhig liegen, um Atem ringend, doch bald brüllte sie wieder los, so laut, dass man es im gesamten Haus hören konnte.
»Es ist nutzlos«, sagte Genevrie, die als Einzige ein wenig zur Schwarzseherin durchdrang und sie pflegte, so gut es ging. »Wir sollten sie in Ruhe lassen.«
Sie traten aus dem kleinen, gut gesicherten Raum, dessen markantestes Merkmal eine hölzerne Querstrebe war. Dort sammelten sich im Laufe des Tages immer wieder Eulen, als würde die Verrückte durch das Geschrei die Vögel anziehen.
»Wir sollten diese Viecher allesamt töten lassen«, murmelte Genevrie.
»Ich dachte, sie würden deine Felder bewachen und sie vor Schädlingen schützen?«
»Mag ja sein.« Die Bäuerin tat eine unwirsche Handbewegung. »Aber hier im Weißen Haus haben sie nichts zu suchen.«
»Ich mag sie. Mir gefällt die Rätselhaftigkeit ihres Charakters.«
Sie suchten ein Zimmer am anderen Ende des riesigen Hauses auf. Das Geschluchze und Geschrei der Schwarzseherin war auch hier zu vernehmen. Es hallte von den hohen Wänden wider, verteilte sich auf die Räume, wurde von manchen der Irr- und Wirrgeister weiter verstärkt. In dieser Kakofonie an Tönen war kaum an eine vernünftige Unterhaltung zu denken - und dennoch mussten sie sich besprechen.
Sie versanken in weichen Sitzpolstern. Genevrie zog ein Säckchen mit selbst gebackenen Keksen aus einer der unergründlich tiefen Taschen ihres Rocks und legte es auf den Beistelltisch, unmittelbar neben eine etwa handgroße, bunt bemalte Schachtel, die in diesem karg eingerichteten Raum reichlich deplatziert wirkte.
Sie knabberten an den Keksen und tranken Wasser. Es war ein karges Mahl, doch es stammte aus dem Boden der Stadt, und es gab ihnen Kraft. Gedankenverloren fuhr Shire über das Blaue Mal. Es brannte.
»So geht’s nicht weiter«, sagte sie schließlich. »Wir müssen etwas unternehmen.«
» Wir? Du musst etwas unternehmen. Du bist schuld am Unglück der Schwarzseherin.«
»Ich wurde reingelegt.
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