Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Vorstellungen.
So sind Elfen nun mal ..., dachte sie. Doch dieser da war anders.
Schlimmer.
»Ich habe dich ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen, Parwean d’Haag. Denn die Gesandte ist gerecht. Sie duldet nicht, dass einer wie du durch die Stadt streift und ihren guten Ruf beschädigt.«
Parwean wich zurück. Er streckte die Hände abwehrend aus. Von Lust und Gier war nichts mehr in seinen Blicken zu sehen. Der Elf hatte Angst. Die Bilder, die ihm durch das Boon vorgegaukelt wurden, versetzten ihn in eine Scheinwelt, und je länger die vom Staub erzeugten Visionen andauerten, desto tiefer verstrickte er sich darin.
»Ich verlange von dir und anderen Mitgliedern deiner Familie, dass ihr von nun an euren Mitbewohnern Respekt entgegenbringt«, sagte Zoe, um unter dem Zwang der Maske hinzuzufügen: »Und ihr werdet den Anweisungen der Priesterschaft bedingungslos gehorchen. Andernfalls sorge ich dafür, dass erstmals seit Jahrhunderten ein Hochedler samt Haushalt aus Dar Anuin ausquartiert wird.«
»Nein!«, rief Parwean, nun voll Panik. Zoe wusste nicht, ob er damit ihre Worte meinte oder die immer mehr an Form gewinnenden Schreckensbilder, die ihn umkreisten.
Er schlug wild um sich, hieb nach den Visionen, zerteilte sie. Doch sie fügten sich augenblicklich wieder zusammen - und waren umso deutlicher zu sehen. Einzelne Gestalten wuchsen aus den Bildern hervor, wurden größer und größer. Ein unheilvolles Brummen, das allmählich in Stimmengeflüster umschlug, begleitete das Wachstum. Mehrere Figuren deuteten anklagend auf Parwean und beschuldigten ihn schrecklicher Dinge.
Dinge, die Zoe lieber nicht gehört hätte. Sie machten ein Grauen offenkundig, das ganz und gar nicht in diese so beschaulich wirkende Stadt gehörte.
»Genug!«, schrie der Hochedle. »Ich bitte dich!« Er fiel auf die Knie. Schlug die Hände vors Gesicht. Krümmte sich in eine Fötusstellung. Schluchzte und greinte.
Zoe sah leidenschaftslos zu, wie Parwean sich wand. Auch jetzt hätte es der Maske nicht bedurft, um an seinem Leid Gefallen zu finden. Er hatte es verdient, er und auch andere Angehörige seiner Familie, die Zoe am liebsten ebenfalls hierher gebeten hätte, um sie abzustrafen. Vor allem diesen Ruice Sentelainne, der Parwean d’Haags Bruder im Geiste war.
Irgendwann hatte sie Erbarmen. Sie wusste, was zu tun war, um die Bestrafung abzubrechen. Die Maske sagte es ihr. Zoe atmete aus und sog gleich darauf wieder tief Luft ein. Die Bilder verwirbelten und brachen in sich zusammen, um bald darauf nur noch als sich leicht kräuselnder Rauch wahrgenommen werden zu können.
Es herrschte Beinahestille. Parwean weinte leise vor sich hin. Er war noch nicht in der Lage, sich wieder aufzurichten - und er würde die Bilder, die er gesehen hatte, lange Zeit in seiner Erinnerung behalten.
»Ich verlasse dich nun, Hochedler«, sagte Zoe. »Denkst du eben darüber nach, wie du dein Gesicht wahren kannst? Möchtest du deinen Kumpanen eine Lüge auftischen? Was wir beide für eine schöne Zeit miteinander gehabt hätten und wie du’s mir besorgt hättest?« Sie lachte. »Niemand wird dir glauben. Und wenn du es mit den Lügen allzu bunt treibst, kehren die Bilder wieder. Dafür ist gesorgt.«
Zoe stand auf. Ihre Beine zitterten, und sie fühlte sich erschöpft. Doch sie hatte etwas unglaublich Wichtiges und Befriedigendes getan.
Auch wenn die Maske es ihr aufgezwungen hatte - sie fühlte sich gut.
Zoe verließ das Separee und kehrte ins Vestibül zurück. Ruice Sentelainne trat ihr mit einem schmierigen Grinsen entgegen, das Parweans Vetter jedoch bald verging, als er ihr kühles Verhalten gewahrte.
»Du kannst deinen Vetter nun abholen«, sagte Zoe laut, sodass jedermann im Raum es hören konnte. »Er wird deine Hilfe benötigen. Vielleicht nimmst du ihm eine saubere Hose mit? Ich befürchte, dass es ein kleines Unglück gegeben hat.« Leise, nur für Ruice bestimmt, fügte sie hinzu: »Lass dir von Parwean erzählen, was ich ihm angetan habe. Meine Augen und Ohren sind überall. Sollte ich erfahren, dass du mit diesem widerlichen Treiben fortfährst, knüpfe ich mir dich als Nächsten vor.«
Zoe wandte sich ab und ging auf den Vorhang zu, hinter dem Lirla auf sie wartete, ohne sich nochmals umzudrehen. Hinter ihr war es totenstill geworden.
Die Syndicatin lächelte triumphierend. »Die Maske tut dir gut, Gesandte«, sagte sie. »Ich wusste, dass ihr beide ausgezeichnet zusammenpassen würdet.«
»Schon gut, Syndicatin.«
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