Schattenmacht
es etwas mit den Alten zu tun haben muss. Ihretwegen waren sie hinter uns her. Ich weiß nicht, wo Scott jetzt ist. Vielleicht haben sie ihn umgebracht.«
»Könnte er hier sein?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, wo ›hier‹ ist. Aber du hast gehört, was Matt gesagt hat. Diese Welt hat nichts mit Scott oder mir zu tun. Ich schätze, ich muss wieder nach Hause…«
Flint stand auf. Er schwankte vor Erschöpfung. Rund um sie herum wurde ausgelassen gefeiert. Inti hatte richtig vermutet – das Fest würde bis zum Sonnenaufgang weitergehen.
»Ich werde mich jetzt auch hinlegen«, sagte Flint. »Wir sehen uns morgen.«
»Gute Nacht, Flint.«
»Gute Nacht, Jamie.«
Jamie sah zu, wie sein Zwillingsbruder wegging und in einem der Zelte verschwand. Im Herzen wusste er, dass dies mehr als ein Abschied für eine Nacht gewesen war und sie sich nie wiedersehen würden.
DER FLUSS
Jamie wurde aus dem Tiefschlaf gerissen, als ihn jemand schüttelte. Er machte die Augen auf und sah Matt, der sich vollständig angezogen über ihn beugte. Draußen wurde es gerade hell. Er konnte das Zwielicht durch die Zeltklappe sehen.
»Entschuldige«, sagte Matt. »Aber ich musste dich wecken.« »Warum? Was ist los?« Jamie war noch nicht richtig wach. »Wir müssen reden.«
Jamie hatte in seinen Sachen geschlafen, und allmählich gewöhnte er sich daran. Er warf die Decke zurück, die man ihm gegeben hatte, griff nach seinem Schwert und folgte Matt aus dem Zelt. Es würde ein schöner Tag werden. Ein rosa Schimmer zeigte sich am hellblaugrauen Himmel, und es war kein Wölkchen zu sehen. Das Fest war inzwischen auch vorbei. Die Leute waren eingeschlafen, wo sie gesessen hatten. Überall lagen Schlafende herum, was Jamie unwillkürlich wieder an die Schlacht erinnerte.
Flint, Scar und Inti waren nirgendwo zu sehen. Matt trug an diesem Tag ein weites Hemd, eine wollene Hose und Stiefel. Er hatte sein Schwert nicht mitgebracht, aber Jamie hatte Frost dabei. Warum hatte er seine Waffe mitgenommen? Es gab keine Feinde mehr, also auch keinen Grund, sich zu verteidigen.
»Soll ich das hierlassen?«, fragte er.
»Nein«, sagte Matt. »Nimm dein Schwert mit.«
»Wohin gehen wir?«
»Es ist nicht weit.«
Sie gingen zwischen den Zelten hindurch und am Fuß des Hügels entlang, auf dem Jamie und Scar auf ihren Einsatz gewartet hatten, in die Richtung, aus der Inti gekommen war. Als sie die Zelte hinter sich gelassen hatten, hörte Jamie das Rauschen von Wasser und stellte erstaunt fest, dass am Rand des Feldes ein breiter Fluss war. Das Wasser war von einem eisigen Blau und sah frisch und sauber aus. Die Welt erneuerte sich, und zwar in einem unglaublichen Tempo.
Die beiden fanden einen flachen Stein nah am Ufer und setzten sich hin.
»Es gibt einiges, das ich dir erzählen muss, bevor du gehst«, sagte Matt.
»Gehe ich dahin zurück, wo ich hergekommen bin?«, wollte Jamie wissen.
»Ja.«
»Dann erzähl mir von Nightrise. Erzähl mir von Scott. Was haben sie mit ihm gemacht?«
»Tut mir leid, Jamie, das weiß ich nicht. Das ist deine Welt, nicht meine. Aber es gibt Wege, wie ich dir helfen kann. Wenn ich nur wüsste, womit ich anfangen soll…«
Matt holte tief Luft. Dann begann er zu sprechen.
»Wie du wahrscheinlich inzwischen gemerkt hast, bist du von einer Welt in eine andere gereist. Aber du musst verstehen, dass es dieselbe Welt ist. Dies ist die Vergangenheit. Du lebst in der Zukunft. Es sind zwei Zivilisationen, zwischen denen zehntausend Jahre liegen.
Ich kann dir nicht viel über unsere Welt sagen. Sie war einmal sehr schön, vor langer Zeit. Ich glaube, wir waren friedliche Menschen. Im Großen und Ganzen hat jeder nur sein Leben gelebt, ohne einem anderen zu schaden.
Aber dann ist etwas passiert. Die Alten. Ich weiß nicht, woher sie gekommen sind oder wie sie hierhergelangt sind, aber als sie hier waren, hat sich alles verändert. Sie hatten nur ein Ziel – uns zu vernichten. Irgendwie haben sie es geschafft, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, und es war eindeutig, dass sie erst aufhören würden, wenn alles zerstört gewesen wäre. Aber es sollte so langsam wie möglich gehen. Das ist ihre Natur, Jamie. Sie leben vom Elend. Das ist der einzige Grund für ihre Existenz.
Stell dir vor, du hast eine schlimme Krankheit, die sich in deinem Körper ausbreitet. Die beiden brauchen einander. Die Krankheit kann nur weiterleben, solange der Körper noch am Leben ist. Genauso war es mit den Alten. Sie
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