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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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wusste genau, wohin sie gehen mussten. Er zögerte kein einziges Mal. Jamie stellte sich vor, dass ihm diese Fähigkeit angeboren war, dass er sie von seinen Vorfahren geerbt hatte.
    Schon bald war er erschöpft und wünschte, dass sie länger in ihrem Lager geblieben wären. Mit jedem Schritt durchfuhren ihn grässliche Schmerzen. Er stützte sich auf Daniel, doch er beschwerte sich nicht, und obwohl sie mehrmals anhielten, um etwas Wasser zu trinken, verlangte er nicht nach einer Rast.
    Irgendwann erreichten sie endlich die Straße – eine gerade Linie, die sich in der Ferne verlor. Es gab keine Gebäude, aber am Straßenrand standen in regelmäßigen Abständen Telefonmasten. Daniel stieß einen Jubelschrei aus, denn Telefonleitungen bedeuteten, dass er seine Mutter anrufen konnte. Mehr wollte er nicht.
    Sie waren rund hundert Meter die Straße entlanggegangen, als Jamie Scheinwerfer auftauchen sah. Er war sofort nervös und sah Joe an, doch der nickte langsam. Er hatte den Wagen bereits erwartet. Ein paar Minuten später hielt ein verbeulter Kleinbus mit einem Indianer am Steuer neben ihnen. Jamie hatte keine Ahnung, wie er sie gefunden hatte. War er Nacht für Nacht auf dieser Straße hin und her gefahren und hatte darauf gewartet, dass sie auftauchten? Aber das war jetzt auch egal. Er war nur froh, sich endlich hinsetzen zu können.
    Joe sprach kurz mit dem Fahrer, dann stiegen sie ein. Daniel musste müder gewesen sein, als er gedacht hatte, denn er schlief sofort ein. Jamie lehnte sich ans Fenster und betrachtete teilnahmslos die dunkle und leere Landschaft, die draußen vorbeizog.
    Eine Stunde später hielten sie am Rand einer Kleinstadt. In einiger Entfernung bemerkte Jamie elektrisches Licht und die klobigen Schatten von Häusern. Er hatte keine Ahnung, wo sie waren.
    »Hier verlasse ich euch«, sagte Joe.
    »Danke für alles.« Jamie wusste nicht, was er sonst erwidern sollte. »Was geschieht jetzt mit dir, Joe? Die Polizei wird hinter dir her sein. Und du hast keinen Job mehr.«
    »Meine Leute werden mich aufnehmen. Mach dir keine Sorgen um mich. Und wenn du uns wieder brauchen solltest, werden wir da sein.«
    Jamie wusste, dass das keine leeren Worte waren. Er hatte zwar keine Möglichkeit, Kontakt zu den Indianern aufzunehmen, aber irgendwie würden sie ihn im Auge behalten, und wenn er sie brauchte, würden sie kommen. Joe beugte sich zu ihm, und sie gaben sich die Hände. Dann stieg er aus und blieb allein zurück.
     
    Jetzt schlief auch Jamie ein.
    Als er die Augen wieder aufmachte, wusste er sofort, wo er war: wieder in Reno, wo alles angefangen hatte. Er war umgeben von den Wahrzeichen der Stadt. Das Hotel Hilton in einiger Entfernung. Das Rathaus im Zentrum, ein großer schwarzer Glasblock. Die Casinos und Pfandleiher. Das Rauschen des Flusses Truckee. Eigentlich war Reno der letzte Ort, an dem er sein wollte, doch er und Alicia hatten beschlossen, dass das die einzig sinnvolle Lösung war. Sie wollte in seiner Nähe sein, solange er in Nevada war – allerdings nicht zu nah. Las Vegas war zu hektisch und zu teuer. Aber in Reno konnte Alicia eine Unterkunft mieten, die nur wenige Stunden von Silent Creek entfernt lag. Sie hatte beschlossen, hier auf ihn zu warten.
    »Wohin soll ich euch bringen?«, fragte der Fahrer. Jamie wusste nichts von ihm – nicht einmal seinen Namen.
    »Es heißt Paso Tiempo « , sagte Jamie. »In der Nähe vom Flughafen.«
    Paso Tiempo war eine Wohnanlage für Mobilheime, gleich um die Ecke von dem Motel, in dem Alicia bei ihrem letzten Aufenthalt in Reno abgestiegen war. Die Anlage bestand nur aus einer langen Straße, gesäumt von Häusern, die eigentlich kaum mehr als Schachteln auf Rädern waren, in einer ordentlichen Reihe nebeneinander geparkt. Daniel schlief immer noch, als sie in die Straße einbogen, und so war aus dem Anruf bei seiner Mutter nichts geworden. Vor dem Haus mit der Nummer dreiundzwanzig bremste der Fahrer. Es war das hübscheste und von Blumen umgeben. Alicia hatte es für einen Monat gemietet.
    Der Kleinbus hielt. Jamie stieß Daniel an. »Wach auf«, murmelte er. In diesem Moment öffnete sich die Tür des Mobilheims, und Alicia erschien. Sie musste gehört haben, wie sie vorgefahren waren. Daniel sah seine Mutter und war sofort hellwach. Er strahlte übers ganze Gesicht, drängte sich an Jamie vorbei und fiel vor lauter Eile fast aus dem Bus. Und dann lagen sich die beiden in den Armen, als wollten sie einander nie wieder loslassen.
    Jamie

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