Schattenmacht
den er kannte. Nicht John Trelawny. Es war jemand, den zu sehen er niemals erwartet hätte, weil er ihn nicht in der wirklichen Welt getroffen hatte. Es war nicht einmal ein Mensch.
Es war eine Statue.
Ein graues, steinernes Gesicht. Hohle Augen. Die Figur trug ein Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und einen Cowboyhut. Sie kniete auf einem Bein und hatte eine Schüssel in der Hand. Im Hintergrund waren eine Brücke aus Metall und einige Überreste aus der Bergbauzeit zu sehen.
»Was ist?«, fragte Alicia besorgt, als sie sein Gesicht sah.
Die Kamera hatte nur kurz über die Statue geschwenkt, aber Jamie hatte die Worte des Sprechers gehört. »… auf der Suche nach Gold wurde die Stadt im neunzehnten Jahrhundert gegründet…« Plötzlich begriff er, dass dies der Mann war, den er in seinen Träumen am Wasser kniend gesehen hatte.
»Jamie…?« Alicia war jetzt ernsthaft beunruhigt.
»Hast du das gesehen? Gerade eben…«
»Was?«
»Im Fernsehen!«
Es war zu spät. Jetzt flimmerten Archivaufnahmen von John Trelawny über den Bildschirm.
»Da war gerade ein Mann im Fernsehen. Kein Mann. Eine Statue. Ich habe sie irgendwann schon mal gesehen, und… Ich weiß nicht wieso, aber das hat etwas zu bedeuten. Etwas Wichtiges.«
»In Auburn?«
»Ja, glaube ich zumindest.«
Alicia stand auf, holte ihren Laptop und stellte die Internetverbindung her. Jamie dachte derweil fieberhaft nach. Er wusste, dass man ihm eine Botschaft geschickt hatte, die nur er allein entschlüsseln konnte.
Die Statue eines Goldsuchers in Auburn. Ein grauer Riese, der am Strand kniete. Sie waren ein und derselbe, davon war Jamie überzeugt. Er dachte daran, was Matt gesagt hatte. Die Traumwelt war da, um ihnen zu helfen, aber manchmal schickte sie ihnen schwer verständliche Botschaften. Was hatte der graue Mann gesagt?
» Er wird ihn umbringen. Und es ist deine Aufgabe, ihn aufzuhalten. «
Sollte Scott in Auburn umgebracht werden? Hatte er das gemeint?
»Sein Name war Claude Chana«, sagte Alicia. Sie hatte die Webseite von Auburn auf ihrem Computer geöffnet und betrachtete jetzt ein Bild der Statue. »Er hat 1848 in Auburn Gold gefunden, was zur Einrichtung eines Schürfercamps geführt hat, aus dem später die Stadt entstanden ist. Eine Statue von ihm steht an der alten Feuerwache.«
» Er wird ihn umbringen. «
» Sie meinen…Scott? «
» Nein, Junge. Du verstehst nicht… «
Plötzlich verstand Jamie es doch. Zwei Männer kämpften darum, Präsident zu werden: John Trelawny und Charles Baker. Nightrise unterstützte Baker. Aber Trelawny würde gewinnen.
Also würde Nightrise ihn umbringen.
Und sie würden Scott dazu benutzen.
»Er wird ihn umbringen.«
Er war Scott. Und ihn war Trelawny. So einfach war das.
»Du musst den Senator anrufen«, sagte Jamie – allerdings hörte es sich in seinen Ohren an, als spräche jemand anders. »Du musst ihn warnen.«
»Was…?«
»Sie werden versuchen, ihn umzubringen.«
Alicia starrte ihn an. »Woher weißt du das?«
»Bitte, Alicia. Wir haben jetzt keine Zeit zum Diskutieren. Ich kann es nicht erklären, aber ich weiß, dass der Senator heute in Auburn umgebracht werden soll. Du musst ihn anrufen und ihm sagen, dass er auf keinen Fall dorthin fahren darf.«
Alicia zögerte nur wenige Sekunden. Dann nahm sie ihr Handy und drückte eine Kurzwahltaste. Jamie wartete, bis die Verbindung stand. Er sah ihre Enttäuschung.
»Senator…«, begann sie, und er merkte sofort, dass sie nur eine Nachricht hinterließ. »Hier ist Alicia McGuire. Ich habe mit Jamie gesprochen. Er meint, dass Sie in Gefahr sind und sich von Auburn fernhalten sollen. Bitte rufen Sie mich zurück.«
Sie klappte das Handy zu.
»Er war nicht da…«, sagte Jamie.
»Ich habe nur seine private Handynummer«, erklärte Alicia. »Er wollte, dass ich ihn persönlich erreichen kann und nicht bei einem seiner Mitarbeiter lande. Aber vielleicht hat er sein Telefon nicht dabei. Oder es ist ausgeschaltet. Ich weiß nicht, wie ich ihn sonst erreichen kann.«
»Wie weit ist es nach Auburn?«
»Keine Ahnung. Es liegt an der anderen Seite vom Lake Tahoe.«
»Wie lange fährt man bis dahin?«
Alicia dachte kurz nach. »Nicht sehr lange. Drei oder vier Stunden.«
»Wann fängt die Parade an?«
»Um zwölf.« Sie sah auf ihre Uhr. Es war ein paar Minuten nach acht. »Das können wir schaffen«, sagte sie. »Zieh dich an. Ich wecke Daniel. Es wird zwar knapp, aber wir könnten rechtzeitig dort sein…«
Die Menschen
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