Schattenmacht
Silent Creek passiert? Haben sie den Block gefunden?«
Alicia nickte. »Alle Gefangenen – die sogenannten Sonderhäftlinge – sind freigelassen worden, und die anderen Kids wurden in staatliche Gefängnisse verlegt. Ich habe mit Patrick gesprochen. Erinnerst du dich an ihn?«
Jamie erinnerte sich noch gut an den Mann mit den silbergrauen Haaren, den sie im Hotel in Los Angeles getroffen hatten. Er organisierte den Wahlkampf des Senators in Kalifornien.
»Er hat mir erzählt, was er konnte… und das war nicht viel. Im Moment spricht niemand darüber. Natürlich streitet Nightrise alles ab. Sie behaupten, dass Colton Banes allein für die Entführungen und alles andere verantwortlich war, und da er tot ist, kann er natürlich nicht widersprechen.«
»Stand denn nichts darüber in den Zeitungen?«
»Bisher noch nicht. Anscheinend hat noch niemand genau verstanden, was eigentlich los war. Silent Creek wurde nirgendwo erwähnt.«
Das wunderte Jamie nicht. Ihm war klar gewesen, dass die ganze Sache vertuscht werden würde. Es gab zu viele Fragen, auf die die Antworten noch fehlten oder auf die es keine gab. Er war nur froh, dass Daniels Freund Billy und all die anderen jetzt zu ihren Familien zurückkehren konnten. Und auch für Baltimore, Green Eyes und die anderen Gefangenen freute er sich. In einem staatlichen Gefängnis ging es ihnen sicher besser. Vielleicht würden sie jetzt sogar vorzeitig entlassen werden.
»Das sind doch gute Neuigkeiten«, sagte Alicia. Jamie merkte, dass sie das nicht nur sagte, um ihn aufzumuntern. »Die Bundespolizei hat den Laden übernommen. Sie haben einen Mann namens Max Koring verhaftet und alle Unterlagen beschlagnahmt. Irgendwo muss es einen Vermerk geben, wohin Scott gebracht wurde. Irgendjemand muss wissen, wo er ist. Sie werden etwas finden, da bin ich ganz sicher.«
Jamie hätte ihre Zuversicht gern geteilt, aber er hatte seine Zweifel. Nightrise schien größer und mächtiger zu sein, als sie vermutet hatten. Aber er hatte die Alten gesehen. Die Gestaltwechsler. Die Feuerreiter. Das gewissenlose Morden. Und Alicia saß hier in ihrem hübschen Mobilheim und dachte, die Welt wäre sicher. Jamie wusste, wie falsch sie damit lag.
»Warum will Senator Trelawny mich sprechen?«, fragte er.
»Das hat er nicht gesagt. Er meinte nur, er hätte neue Informationen und dass du jemanden treffen sollst. Er dachte, er würde dich im Gefängnis finden. Die Agenten, die es gestürmt haben… ihre wichtigste Aufgabe war, dich zu finden und zu ihm zu bringen. Wir werden ihn morgen sehen.«
»Wo ist er jetzt?«
»Nicht weit von hier. Nur jenseits der Staatsgrenze, in Kalifornien. Ist dir das Städtchen Auburn ein Begriff?«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Es ist eine alte Bergwerksstadt, die in den Tagen des Goldrauschs entstanden ist. John ist dort geboren worden, und da heute sein fünfzigster Geburtstag ist, findet ihm zu Ehren eine Parade statt.« Auf dem Küchentresen stand ein Fernseher. Alicia griff nach der Fernbedienung und schaltete ihn ein. »Vielleicht kommt etwas darüber in den Nachrichten«, sagte sie.
Die Nachrichten liefen bereits, aber der Sprecher berichtete gerade über irgendeinen Finanzskandal. Dann kam Werbung. Danach ein Bericht über einen Basketballspieler, der des Mordes angeklagt war.
»Wir werden den Senator in Los Angeles treffen«, erklärte Alicia.
»Sucht die Polizei noch nach mir?«, fragte Jamie. Ihm war plötzlich klar geworden, in welcher vertrackten Lage er sich befand. Er hatte nichts verbrochen, aber man suchte ihn wegen der Morde an Don White und Marcie Kelsey. Und als Jeremy Rabb suchte man ihn wegen Drogenhandels und dem Ausbruch aus Silent Creek. Wie war er nur in all das hineingeraten?
Alicia hatte keine Gelegenheit, seine Frage zu beantworten.
»… und in Auburn werden letzte Vorbereitungen für eine ganz besondere Geburtstagsfeier getroffen. John Trelawny, der Mann, der voraussichtlich die Wahl im November gewinnen wird, kehrt in seine Heimatstadt zurück, in der er vor fünfzig Jahren geboren wurde. Dies sind die Straßen, in denen sich in wenigen Stunden bis zu fünftausend Menschen drängen werden, um den Senator willkommen zu heißen…«
Das war die Story, auf die sie gewartet hatten. Jamie warf einen Blick auf den Fernseher und erstarrte. Es war, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden, und er hielt sich unwillkürlich an der Couch fest, während er auf den Bildschirm starrte.
Er hatte jemanden gesehen,
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