Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
Vom Netzwerk:
Außerdem war er nicht sicher, ob er überhaupt die Kraft dazu hatte. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Mit jeder Stunde, die verstrich, hatte er den Tod mehr vor Augen. Er musste sich zwingen, alle paar Minuten aufzustehen und zum Wasserhahn zu gehen. Das kleine Rinnsal, das aus der Leitung kam, war das Einzige, was ihn am Leben hielt.
    Er wusste längst, dass er gescheitert war. Das hatte ihm schon die Art verraten, wie Joe Feather ihn am Vortag nach dem Essen beobachtet hatte. Der Aufseher musste ihn erkannt haben und hatte es seinem Vorgesetzten Max Koring gemeldet. Und das war das Ergebnis. Sie würden ihn hier schmoren lassen, bis er starb, und dann behaupten, sein Tod wäre ein Unfall gewesen. Abgesehen von seiner blutigen Nase, würden sich keine Spuren an seinem Körper finden. Sie würden ihn in der Wüste begraben, und das wäre dann das Ende.
    Hatten sie mit Scott dasselbe getan? Das war etwas, das er nicht verstand. Warum hatten sie diesen Aufwand mit der Entführung, den Betäubungspfeilen und dem Doppelmord an Don und Marcie betrieben, um ihn dann hier sterben zu lassen? Angeblich suchte Nightrise doch nach Kindern mit übersinnlichen Fähigkeiten. Scott, Jamie, Daniel McGuire und vielen anderen. Aber was wollten sie von diesen Kindern?
    Plötzlich ging die Tür auf.
    Jamie fühlte eine kühle Brise auf der Haut. Er lag mit nacktem Oberkörper auf der harten Pritsche. Seine Hose war durchweicht, und das nasse T-Shirt hielt er gegen seinen Kopf gedrückt. Im verzweifelten Bemühen, Luft zu bekommen, hob und senkte sich seine Brust. Irgendwie gelang es ihm, den Kopf zu drehen. Ein Mann stand in der Tür. Jamie konnte ihn nicht erkennen, aber als er die Zelle betrat, erkannte Jamie, dass es Joe Feather war, und sein Herz sank.
    Feather blieb stehen, wo er war. Er fluchte leise und murmelte: »Verdammt, was machen die denn hier?«
    Er wich zurück, und Jamie hatte Angst, dass er ihn in dieser Lage zurücklassen würde – aber Joe Feather suchte den Schalter und stellte die Klimaanlage wieder an. Langsam begann die Temperatur in der Zelle wieder zu fallen. Und dann musste Jamie einen Moment lang ohnmächtig gewesen sein, denn plötzlich kniete Feather neben seiner Pritsche. Er hielt ihm eine kalte Wasserflasche hin.
    »Trink das«, sagte er. »Aber nicht zu viel, sonst wird dir schlecht.«
    Er hielt die Flasche an Jamies Lippen, und Jamie schluckte dankbar. Etwas so Wunderbares wie das kalte Wasser, das durch seine Kehle rann, hatte er noch nie erlebt.
    Eine ganze Weile sagte keiner von beiden etwas. Als Jamie wieder etwas zu Kräften gekommen war, musterte er den Mann, der ihm die ersten Regeln für seinen Aufenthalt in Silent Creek erklärt hatte. Joe Feather war älter, als er anfangs gedacht hatte. Sein genaues Alter zu schätzen war unmöglich, weil sein Gesicht so sonnenverbrannt war. Er hatte sehr dunkle Augen. Zum ersten Mal fragte sich Jamie, ob dieser Mann vielleicht doch nicht sein Feind war. Sie waren beide Indianer. Waren sie damit nicht auf derselben Seite?
    »Kannst du aufstehen?«, fragte Feather. Er warf einen nervösen Blick zur Tür und vergewisserte sich, dass niemand da war. »Wir haben nicht viel Zeit.«
    »Wieso?«, fragte Jamie.
    »Du musst hier raus. Die wollen dir etwas antun. Aber ich habe Freunde. Ich habe sie gerufen. Sie werden schon bald hier sein und dir zur Flucht verhelfen.«
    »Flucht…?« Das passierte alles viel zu schnell. Mühsam setzte Jamie sich auf. Er nahm Feather die Flasche ab, trank noch etwas Wasser und kippte sich den Rest über den Kopf. Es rann eiskalt über seinen Hals und seine Schultern und machte ihn sofort munter. »Wovon reden Sie da?«, fragte er. »Warum wollen Sie mir helfen?«
    »Später«, sagte Feather nur. »Wir haben jetzt keine Zeit, uns zu unterhalten.«
    »Nein.« Jamie schüttelte den Kopf. »Ich kenne Sie nicht. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Warum sollte ich Ihnen trauen?«
    Der Mann seufzte entnervt. »Aber ich kenne dich«, entgegnete er. »Ich weiß, wer du bist.«
    »Und wer bin ich?«
    »Du bist einer der Fünf.«
    Das war nicht die Antwort, mit der Jamie gerechnet hatte. Er hatte keine Ahnung, was Feather damit meinte, deshalb versuchte er etwas anderes. »Als ich herkam, haben Sie mich gefragt, ob ich einen Bruder habe«, sagte er. »Haben Sie ihn gesehen?«
    »Du hast zwar gesagt, dass du keinen Bruder hättest, aber ich wusste, dass du mich angelogen hast. Und letzte Nacht hat mir Mr Koring deinen richtigen Namen gesagt.

Weitere Kostenlose Bücher