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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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größte Tageshitze war vorbei. Jamie wünschte, er hätte Feather nach der Uhrzeit gefragt, denn so konnte er nur daliegen und auf das schmale Milchglasfenster starren, bis es draußen endlich zu dämmern begann. Die einzelne Glühbirne in einem Stahlrahmen über dem Waschbecken schaltete sich automatisch an, als es dunkel wurde. Niemand hatte Jamie etwas zu essen gebracht. Vielleicht war das ein Teil seiner Strafe… oder eine Methode, ihn für das zu schwächen, was ihm noch bevorstand. Allmählich wurde er nervös. War Joe Feather aufgeflogen? Hatte er es sich anders überlegt? Er hatte gesagt, dass er wiederkommen würde, wenn es dunkel war, und seit dem Sonnenuntergang war bestimmt schon eine Stunde vergangen.
    Aber die Tür öffnete sich erst viel später. Joe Feather hastete in die Zelle. Er hatte Jamies Turnschuhe und ein frisches T-Shirt dabei und auch eine neue Wasserflasche. Jamie trank gierig, während Joe sprach. Er wünschte, der Aufseher hätte ihm auch etwas zu essen gebracht.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte er. »Mr Koring ist weggefahren…«
    »Wohin?«
    »Es gibt hier eine Landebahn für kleine Flugzeuge. Er hat sich auf den Weg gemacht, um Mr Banes abzuholen.«
    Banes. Das war der letzte Name, den Jamie hören wollte. Er sprang auf, streifte das T-Shirt über und war bereit zur Flucht.
    »Meine Freunde sind nicht mehr weit«, fuhr Feather fort. Er sah auf seine Uhr. »Es ist zehn Uhr. Halb elf werden sie hier sein. Dann müssen wir bereit sein.«
    »Was ist mit Daniel?«
    Feather holte eine kleine Plastikflasche aus der Tasche und schraubte sie auf. Jamie sah, dass sie mit etwas gefüllt war, das aussah wie roter Sirup. »Das ist der Saft der Traubenkirsche«, erklärte Feather. »Er wird dir nicht schaden.« Bevor Jamie ihn aufhalten konnte, spritzte er den gesamten Inhalt der Flasche über eine Seite seines Gesichts. Jamie betastete seine Wange und sah dann seine Finger an. Der Saft sah genauso aus wie Blut. »Ich bringe dich auf die Krankenstation«, sagte Feather. »Du musst so tun, als wärst du verletzt.« Jamie erinnerte sich an das, was Baltimore ihm beim Essen erzählt hatte. Die Krankenstation lag direkt an der Mauer und wurde von beiden Seiten genutzt. Jetzt wurde ihm klar, was Feather vorhatte.
    »Die Überwachungskameras werden dich entdecken«, fuhr Feather fort. »Aber wenn die auf dem Bildschirm das Blut sehen, werden sie keine Fragen stellen. Im Krankenflügel ist niemand. In einem Notfall wird von mir erwartet, dass ich die Krankenschwester anrufe – was ich natürlich nicht tun werde. Wir werden also allein sein.«
    »Wie kommen wir in den Block?«
    »Komm jetzt. Ich werde es dir erklären.«
    Sie verließen die Zelle. Der Pflanzensaft war über Jamies gesamte Gesichtshälfte gelaufen, und jeder, der ihn sah, musste annehmen, dass er entweder in eine Schlägerei geraten war oder versucht hatte, sich umzubringen. Joe Feather hielt ihn am Arm, und als sie den leeren Korridor hinuntergingen, strauchelte Jamie, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten. Sie erreichten die Tür, die auf den Sportplatz hinausführte. Jamie wusste bereits, dass keiner der Aufseher einen Schlüssel für diese Tür hatte und sie nur elektronisch vom Kontrollraum aus geöffnet werden konnte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich eine Überwachungskamera über seinem Kopf in seine Richtung drehte. Würde ihr Trick funktionieren? Stille. Dann ein lautes Summen, und das Schloss klickte auf. Joe führte ihn durch die Tür. Sie waren draußen!
    Es war ein komisches Gefühl, den Sportplatz im künstlichen Licht der Bogenlampen zu überqueren. Die Wüste war pechschwarz. In dieser Nacht schien der Mond nicht, aber das ganze Gefängnis glühte in einem unnatürlichen weißen Licht. Jamie konnte die Fenster der vier Blocks sehen und dachte an die Jungen, die er kennengelernt hatte – Baltimore, Green Eyes, DV und die anderen –, und es tat ihm leid, sie zurücklassen zu müssen. Sie hatten Fehler gemacht. Dummheiten. Aber keiner von ihnen war wirklich schlecht gewesen.
    Die Krankenstation lag jetzt direkt vor ihnen, und dahinter die lange Mauer aus Ziegelsteinen. Joe Feather hatte einen Schlüssel für die Tür und führte Jamie hinein. Sie kamen am Empfangsbereich mit einem Schreibtisch vorbei und betraten einen kleinen Behandlungsraum, dessen hinteres Ende in einen schmalen Flur führte. An einer Wand hing eine Buchstabentafel für Sehtests, an der anderen klebten zwei Anti-Drogen-Plakate. Jamie

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