Schattenmacht
bemerkte eine weitere Kamera, die ihn beobachtete. Wie sollten sie etwas unternehmen, wenn sie die ganze Zeit überwacht wurden?
Joe Feather kniete sich hin und tat so, als würde er Jamies Verletzung untersuchen.
»Die Kamera kann uns zwar sehen, aber nicht hören«, flüsterte er. »Sie werden erwarten, dass ich das Telefon benutze und die Schwester anrufe. Ich werde so tun, als würde ich das auch erledigen. Nimm du das hier…« Jamie spürte, wie ihm etwas Metallisches in die Hand gedrückt wurde. »Das ist der Hauptschlüssel«, fuhr Feather fort. »Er öffnet die Zellen in allen Abteilungen… Nord, Süd, Ost und West. Er müsste auch für die im Block passen. Ich weiß es aber nicht mit Sicherheit. Wenn er nicht passt, haben wir keine andere Möglichkeit mehr.«
»Wie komme ich in den Block?«
»Am Ende des Flurs ist eine Tür.«
Jamie sah sich um und hielt sich gleichzeitig die Wange, um den Beobachter am Bildschirm zu täuschen. Die Tür war tatsächlich da, und der Flur musste eine Art Tunnel sein, der durch die Mauer führte.
Joe Feather war inzwischen zum Telefon gegangen und wählte eine Nummer. Irgendwo im Gefängnis beobachteten andere Aufseher jede seiner Bewegungen. Die erste Regel im Gefängnisleben lautete, dass es keine Überraschungen geben durfte. Jede Minute des Tages hatte genau so zu sein wie am Tag zuvor. Die Tatsache, dass sich ein Junge verletzt hatte und medizinische Hilfe brauchte, stellte eine Störung der Routine dar, und die anderen Wachen waren entsprechend aufmerksam. Feather tat so, als spräche er am Telefon mit der Krankenschwester, aber er hatte dafür gesorgt, dass er nicht mit ihr verbunden war. Er sprach stattdessen mit Jamie.
»Ich habe den Generator draußen auf dem Hof manipuliert«, berichtete er. »Wir schalten ihn manchmal für Reparaturen ab. Er wird bald ausgehen, und es wird eine Weile dauern, bis sie den Hilfsgenerator zum Laufen gekriegt haben. Das gibt uns mindestens eine Minute ohne Kameras und ohne Licht. Außerdem lassen sich bei einem Stromausfall alle Zellentüren mit dem Schlüssel öffnen. Diesen Moment musst du nutzen, um deinen Freund zu holen. Er ist in Zelle vierzehn.«
»Werden da keine Aufseher sein?«
»In der Nachtschicht ist nur einer da. Den kannst du mir überlassen.«
»Warum machen Sie das alles?«, fragte Jamie ihn.
Joe schaute vom Telefon auf und erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Das habe ich dir doch schon gesagt. Du bist einer der Fünf.«
»Ja. Aber einer von welchen Fünf? Was bedeutet das?«
Ohne Vorwarnung ging das Licht aus.
»Jetzt!«, rief Joe.
Er hatte eine Taschenlampe und schaltete sie ein. Jamie folgte ihm durch den Korridor und wartete, während er die Tür am Ende mit seinem eigenen Schlüssel aufschloss. Es war stockdunkel, aber im Schein der Taschenlampe konnte Jamie ein paar Einzelheiten erkennen: einen Zellenblock, der fast genauso aussah wie der, in dem er gesessen hatte, einen am Boden festgeschraubten Tisch, eine Reihe Bildschirme, einen Aufseher… der gerade aufstand und nach der Dose mit Reizgas griff, die an seinem Gürtel hing.
»Was…?«, begann der Mann.
Joe schlug ihn mit der Taschenlampe nieder. Der Lichtkegel warf verrückte Schatten an die gegenüberliegende Wand. Jamie hörte den Aufseher grunzen. Dann gaben seine Knie nach, und er sackte in sich zusammen.
»Geh!« Joe zerrte den Bewusstlosen wieder auf seinen Stuhl. Auf dem Tisch vor ihm lag ein Taschenbuch, und Joe setzte ihn so hin, dass es aussah, als würde er vornübergebeugt dasitzen und lesen. Jamie sah sich um und versuchte sich zu orientieren, während Joe ihm die Taschenlampe zuwarf. Er fing sie auf und rannte los.
Die Zellennummern standen deutlich sichtbar neben jeder Tür. Er musste sich beeilen. Sobald der Ersatzgenerator ansprang, würden sie ihn sehen – und was noch schlimmer war, die Türen würden wieder elektronisch verschlossen sein. Er konnte Geschrei hören, das aus den Zellen drang. Einige der Kinder mussten noch wach gewesen sein und waren von der vollkommenen Dunkelheit überrascht worden – eine neue Erfahrung für sie. Sie hämmerten gegen ihre Zellentüren. Jamie fragte sich, ob dasselbe wohl auch in den Zellenblocks auf der anderen Seite der Mauer geschah.
Er erreichte Zelle vierzehn und steckte im Schein der Taschenlampe den Schlüssel ins Schloss. Zu seiner großen Erleichterung spürte er, wie es sich öffnete. Er schob die Tür auf und betrat die Zelle.
Auf der Pritsche lag ein elfjähriger
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