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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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Und er hatte nicht einmal Muskelkater davon. Es war, als wäre sein Körper daran gewöhnt, stundenlang durch die Gegend zu reiten.
    Was hatte das zu bedeuten?
    Er war nicht Sapling. Er war Jamie Tyler. Aber Sapling schien ein Teil von ihm zu sein. Sie waren beide im selben Alter. Sie sahen gleich aus und hatten dieselben Fähigkeiten, obwohl sie Tausende von Meilen entfernt voneinander geboren worden waren – und wahrscheinlich auch Tausende von Jahren.
    Am Tempeleingang bewegte sich etwas. Finn kam mit einer Wasserflasche auf Jamie zu.
    »Du bist wach«, sagte er. »Hattest du irgendwelche Träume?«
    »Ich war zu müde zum Träumen.« Jamie setzte sich auf und trank. »Woher kommt das Wasser, wenn die Flüsse vergiftet sind?«, fragte er.
    »Wir haben Brunnen. Sie müssen aber sehr tief sein.«
    Jamie merkte, wie Finn ihn musterte. Auf seine Weise war Finn so am Ende wie die Stadt, in der sie übernachtet hatten. Sein Haar war zu früh grau geworden. Die Narbe auf seiner Wange stammte von einer tiefen Wunde. Seine sanften und aufmerksamen grauen Augen hatten zu viel Leid gesehen.
    Jamie gab ihm die Wasserflasche zurück. »Danke«, sagte er.
    »Sapling…«
    »Ich bin nicht Sapling.« Jamie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass ihr euch das wünscht. Ich weiß, dass er euer Freund war. Aber ich bin nicht er.«
    »Vielleicht nicht«, meinte Finn. »Aber heute wirst du es sein müssen.«
    »Dann erzähl mir von ihm. Und von Scar. Wie habt ihr beide euch getroffen?«
    Finn setzte sich neben Jamie, während draußen anscheinend etwas vor sich ging. Jamie hörte Hufgeklapper, und gelegentlich wieherte ein Pferd. Die Armee versammelte sich auf dem Tempelvorplatz. Sie bereitete sich auf ihre letzte Schlacht vor. Aber im Augenblick schien es Finn ganz recht zu sein, sie ihre Vorbereitungen allein treffen zu lassen.
    »Ich habe Scar vor vier Sommern getroffen«, begann er. »Bevor der Schnee kam. Ich war weit gereist und ruhte mich gerade mit dem Rücken an einer Wand aus. In der Wand war eine Tür, die plötzlich aufging, und da war sie … einfach so. Sie hat großes Glück gehabt. Hätte ich mein Schwert in der Hand gehabt, hätte ich sie womöglich sofort getötet, ohne zu wissen, wer sie war. Doch ich war unvorsichtig und hatte meine Waffen beim Pferd gelassen. Sie hat mir ihren Namen gesagt, aber ich habe sie nicht gefragt, woher sie gekommen ist, obwohl – und das ist das Merkwürdige daran – diese Tür in der Wand nirgendwo hinführte. Es war nur die Wand einer Ruine. Sie wusste, wohin sie wollte, und das war das Einzige, was zählte. Also habe ich beschlossen, mit ihr zu gehen.
    Wir sind eine Zeit lang zusammen gereist, und ich habe sie beschützt. Zu jener Zeit war sie anders als heute. Sie war ängstlicher – aber behalt das für dich. Sie hat mir erzählt, das sie nach jemandem namens Matt sucht, einem Jungen, der ihr im Traum erschienen ist. Anfangs hielt ich sie für verrückt. Aber dann haben wir ihn gefunden – oder er uns –, und plötzlich wusste ich, dass alles wahr ist. Es gibt wirklich fünf von euch. Die Torhüter. Zu Anfang wart ihr über die ganze Welt verstreut. Aber ihr habt einander gefunden, und je näher ihr euch kamt, desto größer wurde eure Macht.«
    »Und Sapling…?«
    »Da kann ich dir nicht weiterhelfen. Ich verstehe das selbst nicht. Du siehst aus wie er. Du klingst wie er. Und wenn ich nicht genau wüsste, dass er getötet und seine Leiche verbrannt wurde, würde ich sagen, du bist er.«
    »Welches Jahr haben wir?«
    Finn zuckte die Achseln. »Es ist das Jahr nach dem letzten. Ich habe gehört, dass es früher einmal Zahlen für die Jahre gab, aber die sind schon lange in Vergessenheit geraten.«
    »Die Alten…«
    »Stimmt. Ihnen verdanken wir ein elendes und schmerzerfülltes Leben, aber wenigstens sorgen sie dafür, dass es kurz ist.« Finn dachte einen Augenblick nach, dann stand er auf. »Komm mit«, sagte er. »Ich will dir etwas zeigen.«
    Jamie warf seine Decke zurück und folgte Finn quer durch den Tempel zu einer Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Sie führte in einen kleineren Raum mit einer gewölbten Decke, die mit goldenen Sternen auf blauem Grund bemalt war. Auch die Wände waren ursprünglich bemalt gewesen, aber von diesen Bildern war nichts mehr zu sehen – sie waren alle abgekratzt worden.
    Scar war auch in dem Raum. Sie kniete vor einer Steinplatte, die vielleicht einmal ein Altar gewesen war, und hielt ein in Stoff gewickeltes Bündel in den

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