Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
gern den Gefallen. Kochen lenkt ab , redete sie sich ein. Ablenken von ihren Sorgen, die sie zusätzlich zum Kind mit sich herumschleppte.
Ihr Plan war leider nicht aufgegangen. Sie wollte ihnen dreien ein heimeliges Zuhause schaffen, zurückgezogen von aller Boshaftigkeit dieser Welt, fernab von allen erdenklichen Gräueltaten. Martin sollte und er wollte es auch selbst – deshalb hatte er sich ja versetzen lassen – ein ruhiges Leben als Gesetzeshüter in einem kleinen Vorort Lüneburgs führen, in dem nur unbescholtene Bürger lebten. Dort, wo so gut wie nichts Schlimmes passierte. In einer Umgebung, in die man ein Kind hineinsetzen konnte, ohne ständig Angst davor haben zu müssen, dass es entführt, vergewaltigt und in irgendeinem Waldloch verscharrt würde. Natürlich waren ihre Befürchtungen überzogen und sie wurden mit jedem Monat ihrer Schwangerschaft quälender. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie sah furchtbare Dinge auf sich zukommen und als wäre sie von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung heimgesucht worden, drehte sie den Schlüssel im Schloss ihrer Wohnung herum und begann zu schwitzen. Sie war sich sicher, dreimal den Schlüssel herumgeschlossen zu haben, nun öffnete sich die Tür bereits mit einem zarten Linksruck des Schlüssels. Ihre Knie wurden weich und sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Sicher hast du vergessen abzuschließen, du und deine Rezepte. Denkst nur noch ans Kind und die Geburt , versuchte sie sich zu beschwichtigen.
Langsamen Schrittes ging sie in die Küche. Alles war wie immer, wie vor ihrem Einkauf. Sie atmete schneller, während sie die Tüte auf den Küchentisch stellte. Sie öffnete den Kühlschrank, verstaute die Milch, Joghurt, Quark und den Käse. Alle Sachen, die sie gekauft hatte, sortierte sie weg, angespannt und konzentriert wie ein Tier auf der Jagd, auf der Lauer vor dem Sprung. Stimmen in ihrem Kopf kämpften miteinander; solche, die sie beruhigen wollten und solche, die sie zur Wachsamkeit ermahnten. Letztere waren lauter und so verließ sie die Küche mit aufgestellten Nackenhaaren. Sie wollte ein Lied anstimmen, es summen; es blieb ihr im Hals stecken.
Die Wohnung war in zwei Ebenen aufgeteilt. Eine größere untere und eine kleinere, kuschelige obere. Im oberen Teil gab es einen umlaufenden, wenn auch recht schmalen Balkon, von dem aus sie einen fantastischen Blick über Lüneburg hatten, über angrenzende Wälder und Wiesen. Dorthin zogen sie sich zurück, wenn sie entspannen wollten bei einem Glas Weißwein und Knabberkram. Den Wein allerdings verbot sie sich in letzter Zeit.
Unsicher, ob sie ihrer Angst nachgeben wollte, schlich sie in der Wohnung herum, schaute hinter Türen und dem Duschvorhang nach bösen Jungs. Im Schlafzimmer sah sie unter das Bett und kam sich albern vor. Ein junges Mädchen, das sich fürchtet, nachdem sie den von den Eltern verbotenen Horrorfilm angeschaut hat. Schnell hatte sie alle Räume im unteren Bereich durchsucht, als ihr Blick auf einen Schatten fiel. Etwas im Augenwinkel huschte vorbei und als sie direkt hinsah, war dort nichts.
Der Vollständigkeit halber und um absolute Ruhe für die Seele zu finden, ging sie nach oben. Zwei kleine Räume, von denen eines als Gästezimmer und das andere als Büro von Martin genutzt wurde. Er wollte nicht neben dem Kinderzimmer seine Akten und das Faxgerät aufstellen. Außerdem besaß er noch eine stattliche Sammlung alter Schallplatten. Musik aus den Achtzigern, die er liebte und mit Kopfhörern hörte. Fast schon wieder mit einem normalen Adrenalinspiegel im Blut zog sie ihren behäbigen Körper die steilen Stufen empor. Hatte sie nicht eben ein Geräusch gehört? Ein Rascheln vielleicht? Beherzt betrachtete sie das leerstehende Bett im Gästezimmer, sah in jedem Winkel nach und ging schließlich nach nebenan ins Büro. Sie drückte die Klinke herunter, öffnete die Tür und all ihre Befürchtungen verdichteten sich in einem einzigen Atemzug.
Der erste Blick fiel auf den Schreibtisch, die dünnen Leitz Akten lagen kreuz und quer, manche waren geöffnet, Seiten verknickt. Martin war nicht der Ordentlichste, doch so ein Chaos würde selbst er nicht dulden. Er würde auch keine Schubladen offen stehen oder geheime Unterlagen, für jeden sichtbar, liegen lassen. Nein, das würde er gewiss nicht. Sie sah niemanden, doch sie fühlte jemanden, roch etwas Neues in diesem Raum, eine Mischung aus Schweiß, altem, in Kleidung festhängendem Zigarettenrauch und am Morgen
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