Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Verdammt, um alles in der Welt, warum sollst du immer an allem schuld sein? Du hast deinen Job gemacht und du machst ihn gut – unkonventionell, okay, außerhalb der Regeln, okay, aber trotzdem gut. Du hast keine Schuld. Du hast ihn nicht umgebracht, sondern dieser Scheißtyp. Und du wirst ihn finden, koste es, was es wolle.
Aber du hast sie belogen, keifte eine andere Stimme, eine, die die Wahrheit sagte.
Martin passierte die Eingangstür, die zu beiden Seiten vor ihm zurückwich. Es war sieben Uhr morgens und es herrschte ein reges Aneinandervorbeilaufen von Schwestern, Pflegern und Ärzten. Manche Mediziner hatten tiefe Ringe unter den Augen. Sie trotteten durch die Halle und sehnten sich nach Schlaf.
Er erreichte die Intensivstation und meldete sich im Schwesternzimmer an.
»Ihre Frau ist jetzt wach. Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie bekommt starke Medikamente. Sie müssen sehr zurückhaltend sein. Sie scheint noch nicht ganz realisiert zu haben, dass sie das Kind verloren hat.«
Martin nickte. Worte wie schmerzhafte Schläge. Korrektur der Gedanken: es zählte nicht mehr, wie er es wem heimzahlen werde, sondern wie man damit umging, ein bis ins Kleinste eingerichtetes Kinderzimmer in einen normalen Raum zurückzuverwandeln, sich keine Namen mehr ausdenken zu brauchen, nicht mehr Eltern zu werden, deren Tages- und Nachtablauf sich um ein Kind drehte, sich nicht mehr freuen zu dürfen.
Martin öffnete die Tür zum Krankenzimmer. Dieser Gang war für ihn von jeher der schwerste, vor allem, wenn ihm nahestehende Menschen, in Kissen gefangen, sich der Genesung hingaben. Nun, da er sie sah, wich die Furcht vor ihrer Reaktion, vor möglichen Schuldzuweisungen. Sie sah jämmerlich aus, die Schwellungen hatten zugenommen und alles an ihr schrie nach Gesundheit, Glück und Liebe. Wie viel von dem, wonach sie verlangte, konnte er ihr geben?, fuhr es ihm durch den Sinn.
Wortlos setzte er sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Ihre Augen waren geöffnet, sie drehte den Kopf ein wenig in seine Richtung. Sie sagte kein Hallo, blickte nur in seine Augen. In ihrem Blick lag ein solch unsagbarer Schmerz, dass er wusste, dass sie es doch realisiert hatte, was geschehen war. Sie erinnerte sich an den Mann, an ihre Flucht, an ihren Sturz und an das Abgleiten in die bitterste Schwärze, die sie je geschmeckt hatte. Sie sah Martin an und weinte. Leise Tränen schlichen die Wangen hinab, benetzten die Lippen und das Kissen. Sie hatte begriffen, was passiert war.
»Es tut mir so leid, mein Schatz. Wir finden das Schwein, der dir das angetan hat. Kannst du ihn mir beschreiben?«
Ohne innere Anteilnahme spulte sie die Eindrücke, die sich für ewig in ihr Inneres eingebrannt hatten, ab. Ihre Stimme war leise, die Luftröhre vom Tubus, den man ihr während der Narkose gelegt hatte, lädiert.
»Er war groß, sehr groß und kräftig, ganz schwarz gekleidet. Dunkle Haut, ein Südländer. Spanier oder so. Schwarze Haare und er sprach merkwürdig. Eine zittrige Stimme, die gar nicht zu seiner Statur passte.«
»Wir finden das Schwein. Das versprech ich dir.«
»Ist das noch wichtig?« Sie sah an die Decke, blinzelte kaum. Den Sinn des Lebens hatte man in dieser Nacht aus ihrem Leib gerissen.
»Unser Kind ist tot, bevor wir es kennen durften. Nie werde ich wissen, wie er aussah. Hätte er blonde Haare oder braune gehabt? Seine Augen, sein Lachen, Hüpfen und Springen.«
»Ich weiß, Catherine. Es ist schwer, aber wir schaffen das.«
Catherine drehte den Kopf zu Martin hin. Ihre Stimme wurde kräftiger. »Nein, das werden wir nicht.«
»Doch«, intervenierte er und kam ihr mit seinem Kopf ganz nahe. Beinahe flüsternd sagte er: »Wir werden ein neues machen. In einem Jahr, wirst sehen.«
Brüsk drehte sie ihren Kopf weg. Die Bewegung bereitete ihr Schmerzen. »Und dann? Wie soll es dann werden? Sollen wir immer zu Hause sitzen und auf dich warten? Hoffen, dass du gesund nach Hause kommst, dass dir nichts passiert ist? Dass uns nichts passiert? Dass niemand uns etwas antun wird?« Sie schüttelte leicht den Kopf. Jede Bewegung war ihr vom Arzt untersagt. Dann sagte sie den Satz, vor dem Martin sich am meisten gefürchtet hatte, den er nie zu denken gewagt hatte.
»Ich will so ein Leben nicht führen. Ich werde dich verlassen, Martin. Ich gehe zurück nach Frankreich. Ich muss alles vergessen und hinter mir lassen.«
Eine lange Zeit antwortete Martin nichts. Er war fassungslos. »Liebst du mich denn nicht
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