Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
paar Tage in Beschlag. Kauf ihr ein neues und trag das alte immer bei dir. Wenn du nicht sprechen kannst, nenn mich Schatz und red irgendeinen Blödsinn.«
»Geht klar. Wann meldest du dich wieder?«
»Morgen, denke ich.«
»Gut, bis dann.«
Martin unterbrach die Verbindung. Er fühlte sich besser. Nicht alle hatten sich gegen ihn verschworen. Noch nicht alle, so hoffte er.
Mit dem Gerät in seinen Händen erschien Martin zurück. Noch auf der Schwelle des Hauses verharrte er. Auch Jerome hatte seine Maske abgenommen. Er brauchte in Sokolows Gegenwart kein Versteckspiel mehr zu spielen. Ein weiterer Umstand zwang ihn, die Maske zu entfernen: Er schwitzte weit mehr, als es in dieser Situation als gerechtfertigt erschien. Seine Haare waren durchnässt wie nach einem Regenschauer, sie standen wirr in alle Richtungen, das Gesicht glänzte feucht. Sokolow blickte ratlos auf die kränklich wirkende Gestalt.
Jerome hielt die Maske in beiden Händen und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er zitterte unkontrolliert.
»Was seht ihr mich so an?«, schrie er in den Raum hinein. »Ich habe meine Medikamente vergessen. Ich habe ADHS und brauche meine Pillen, verdammt!«
»Nur die oder noch andere?«, fragte Martin zynisch und ging mit dem Telefon an ihm vorbei. Er gab es Sokolow zurück, bedankte sich mit einem Nicken und wandte sich Jerome zu. Er hatte nun schon einige Male verschiedene Facetten dieses Mannes erlebt, es wunderte ihn nicht, dass er nun wimmernd und zusammengekauert auf dem Stuhl saß. ›Unberechenbar ‹ war das Wort, welches ihm als erstes in den Sinn schoss.
»Mir geht es schlecht ohne meine Medizin, verdammte Scheiße!« Jerome sah auf und blickte abwechselnd hilfesuchend in die Gesichter der beiden anderen. »Ich werde nicht schlafen können und ich schwitze wie ein Schwein, erst recht unter dieser Maske. Dieses Scheiß- Silikon lässt doch nichts durch.«
Sokolow hielt ihm die Flasche Wodka hin.
»Komm, trink einen Schluck. Ist hier bei uns genauso gut wie Medizin.«
Jerome nahm die Flasche entgegen, entkorkte sie und hielt sie an die schmalen Lippen. Er trank mehrere Schlucke, ohne abzusetzen. Dann ließ er die Flasche sinken und klemmte sie zwischen den Beinen fest, als hätte er sie vollständig für sich in Besitz genommen.
Sokolow klopfte Martin auf die Schulter.
»Ich habe Borschtsch vorbereitet. Kennen Sie das?«
Martin schüttelte den Kopf.
»Ist gut für Ost und West. Wir gehen nach nebenan und essen. Danach wird es Ihnen besser gehen, Jerome. Essen und trinken hilft bei allen Leiden.«
Sokolow hinkte den Weg voran. Sie betraten einen rustikal eingerichteten Raum mit einer langen Bank und einem Tisch aus grobem Holz. Die Tischplatte war aus verschiedenen Planken zusammengesetzt und der Verdacht lag nahe, dass er in Zeiten, als Sokolow noch Herr seiner körperlichen Kräfte war, von ihm selbst aus heimischen, gleich um die Ecke wachsenden Hölzern gezimmert worden war.
Martin half Sokolow, den schweren Topf vom Herd zu nehmen. Sie nahmen am Tisch Platz. Es war eine Art Wohnküche. Ein Kachelofen sorgte im Winter für behagliche Temperaturen, der Herd wurde ebenfalls mit Holz betrieben. Martin fragte sich, wie Sokolow diese Tätigkeiten bewerkstelligte, und dachte an den Fahrer, von dem es hieß, er sei Sokolows einziger Verbündeter. Er konnte sich nicht erinnern, den Mann durch die Tür hinein- oder hinauskommen gesehen zu haben. Martin blickte sich suchend um. Von der Küche ging ein weiterer Flur ab. Er vermutete, dass dieser zu einer Hintertür führen würde.
Jerome hatte sich beruhigt. Er zitterte nicht mehr, wippte stattdessen vor und zurück und starrte auf den Topf, der vor ihm stand. Sokolow bekreuzigte sich und murmelte mit verschlossenen Augen ein Gebet in seiner Muttersprache. Dann lud er seine Gäste ein zuzugreifen. Jerome zögerte nicht eine Sekunde und lud sich den Teller voll, bis es bald über den Rand quoll. Er aß und trank, als sei es sein letzter Tag auf Erden. Die Umgebung hatte er vollkommen ausgeblendet, er schlang den russischen Eintopf in sich hinein. Martin und Sokolow wechselten skeptische Blicke. Jerome hatte den Wodka für sich in Beschlag genommen und trank aus der Flasche. Der Alkohol machte ihn tatsächlich ruhiger, benommen, aber möglicherweise noch unberechenbarer, als hätte er seine Medikamente und Drogen eingenommen. Martin hielt sich mit alkoholischen Getränken zurück, obgleich Sergej sie ihm alle zwei Minuten anbot. Für Russen war der
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