Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
siebzehn. Es ist ein kleinerer Raum im hinteren Hotelbereich. Sie erreichen ihn, wenn Sie gegenüber der Rezeption durch die Glastür und den nächsten Gang nach links gehen. Am Ende des Flures auf der rechten Seite ist die Siebzehn. Mr. Mc Donnell erwartet Sie dort bereits und freut sich auf ein Gespräch mit Ihnen. Es wäre ihm angenehm, wenn Sie die Sache vertraulich und diskret behandeln würden.«
»Natürlich. Sicher.« Das Gespräch war beendet.
Schöller nahm eine Handvoll Wasser in den Mund und spuckte die Reste der Zahncreme aus. Er sah in den Spiegel und fürchtete sich davor, unrasiert und auch sonst, dem Fuchs gegenüberzutreten. Keine gute Sache , dachte er . Gar nicht gut.
Nicht genug, dass er es bisher noch nicht geschafft hatte, den Mann zu finden, der Videos und Audioaufnahmen aus dem Hotelbereich des letzten Tagungsortes in Hamburg herausgeschmuggelt hatte. Derjenige oder diejenige, der sich ›The Voice ‹ nannte, war noch immer nicht gefunden worden, das Phantom, das sich ungeniert im Internet über die Machenschaften der Mächtigen ausließ.
Schöller zog sich an und streifte rasch das blau-weiß gestreifte Hemd über. Mit der Hand fuhr er über das Kinn. Es kratzte beim Darüberstreichen. Er wollte wenigstens rasiert und gepflegt erscheinen. Schlimmer als das wäre jedoch gewesen, den Fuchs warten zu lassen. Auch wenn man nur wenig über ihn wusste, eines war bekannt, nämlich dass er es hasste zu warten.
Schöller hetzte aus dem Zimmer heraus. Er war seit der letzten Videokonferenz nicht mehr er selbst, und nun war der Fuchs auch noch im Hotel eingetroffen, um sich mit ihm zu treffen. Gar nicht gut, wiederholte er. Seine Nerven lagen blank. Zittrig verschloss er den Knopf des Sakkos und erreichte die Rezeption. Es war sieben Uhr dreißig, als er die Tür zu Raum siebzehn erreichte.
Er drückte die schwere Tür auf und erschrak.
Kapitel 44
Juli 2011, Hamburg
Werner raffte alle Unterlagen zusammen, die er kopiert und ausgedruckt hatte. Alle Fälle von vermissten und nicht aufgefundenen Menschen der letzten fünf Jahre klemmten unter seinem Arm. Fieberhaft huschte er in sein Büro und ließ alle Akten auf den Tisch poltern. Er war seinem Bauchgefühl gefolgt, hatte in den Nächten Träume gehabt, war schweißgebadet aufgewacht und all das nur wegen einem Verdacht, den er nicht mehr los wurde, der penetrant an ihm haften blieb wie ein im Blutrausch saugender Moskito.
Beinahe meinte er, Stimmen gehört zu haben, Männerstimmen, die ihn riefen, die nach Gerechtigkeit verlangten, die endlich zur Ruhe kommen wollten.
Vor ihm lagen neun Akten von Menschen, die verschwunden und nicht wieder aufgetaucht waren. Ad acta gelegte, nicht besonders interessante Fälle, deren Aufklärung auf der Dringlichkeitsskala ganz unten stand: Zwei Obdachlose mittleren Alters, die keinerlei Familienanschluss gehabt hatten, die gelegentlich bei der Hamburger Tafel einen Teller Suppe und in Wintermonaten ein warmes Bett bei der Heilsarmee bezogen. Ein französischer Handlungsreisender, der von heute auf morgen verschwand, der eben noch am Flughafen in einer Reihe Wartender für den Flug nach Paris verweilte, von jemandem angesprochen wurde und mit ihm ein paar Schritte gegangen war. Danach hatte die Überwachungskamera ihn noch einmal auf der Toilette erfasst, auch wie er sie verließ und dem Ausgang zusteuerte. Danach schien er sich ins Nichts aufgelöst zu haben. Er wurde nie wieder, weder in Paris noch in Hamburg noch sonstwo gesehen.
Die nächste Akte befasste sich mit einem ungeliebten Zuhälter aus der Hamburger Unterwelt, den keine Sau ernstlich vermisste, erst recht nicht seine ›Häschen‹, wie er sie nannte.
Ein weiterer Fall war ein Homosexueller, von Kollegen als mittelmäßiger Schauspieler bezeichnet, der nicht als vermisst gemeldet worden war, weil man davon ausging, dass er weggezogen, jedoch nirgendwo angekommen war oder aber das Land verlassen oder sich mit einem Lover anderweitig verdünnisiert hatte.
Der letzte war ein abgehalfterter Drogenfreak, der am Hamburger Hauptbahnhof dealte und dem Heroin zugeneigt war. Dessen Nasenscheidewand vom Koksschniefen zerstört war und dessen Gehirn verschiedene Blessuren aufwies.
Die drei anderen Aktenkundigen, die auf die Aufklärung ihres Verbleibes warteten, bevor ihre Seelen in Frieden ruhen konnten, waren zu lange tot oder über neunzigjährig und kämen somit für das, was Werner gerade nächte- und tagelang umtrieb, kaum in Frage.
Akribisch
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