Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
er dem Raum kam, desto mehr Lärm hatte er gehört.
Er sah in die Gesichter aller Anwesenden, erfasste die Situation aber zu spät.
»Was geht hier vor?«, hatte er mit brüchiger Stimme gefragt.
Noch bevor er seine Waffe ziehen konnte, hatte Jerome auf ihn gezielt und gefeuert.
Lorenz, Martin und Schöller standen wie versteinert da. Alles ging blitzschnell. Martin zögerte, weil er immer noch nicht wusste, wie man den Chip deaktivieren konnte. Wieder hatte er das Gefühl, er würde Jerome brauchen, der ihn hinters Licht geführt und geblendet hatte, den Gollum mit den vielen Gesichtern und Seelen. Eine Seele, in viele Teile zerrissen, zerschunden, zerrieben.
Doch da war noch mehr. Der Mann, der im Türrahmen stand, war schwarzhaarig, groß, in einen schwarzen Anzug gekleidet, ein Südamerikaner mit sonderbar schwankender Intonation. Martin starrte ihn an, wie er sich krümmte, von einer Kugel getroffen. Er erkannte ihn als den, der er war, der Einbrecher, der sein Kind getötet, seine Verlobte die Treppe hinuntergestoßen hatte. Er passte perfekt auf die Beschreibung von Catherine. Der Mann, an dem er sich rächen wollte, der, der den Tod verdient hatte.
Jerome schwenkte die Waffe zu jedem Einzelnen herum mit Ausnahme von Lorenz, dem er keinerlei Aktion zutraute. Er ging auf Carlos zu, der zu Boden glitt und schwer atmete. Der Killer, der die Zwanzig längst überschritten hatte, presste seine Hand auf die blutende Wunde. Dann schoss Jerome erneut, ließ alle Wut heraus, gewährte auch seiner Rache zu regieren und leerte das Magazin. Zu groß der Blutrausch, zu schlecht hatte er mitgezählt. Er hatte keine Kugel mehr für seinen Widersacher, den verachteten Vater. Wenn er ihn nicht töten konnte, musste er ihn eben auf andere Weise vernichten. Ihn und die gesamte unselige Brut der Schattenmächte.
Reichstein rannte aus dem Raum heraus, zu der hinteren Tür und kam ungehindert bei dem schweren Mercedes an, den sie für ihren Auftritt als Mc Donnell nebst Bodyguard geliehen hatten.
Martin betrachtete den toten Mann, der zur Seite kippte: der Killer, der Tote zählte und sich damit brüstete. Hingerichtet mit Kugeln aus seiner Waffe. ›Rächen Sie Ihr Kind!‹, hallten die Worte von Renate Lohmeyer in seinem Kopf nach. Ein sonderbares Gefühl der Befriedigung beschlich Martin.
Kapitel 46
Juli 2011, Hamburg
Werners Pupillen waren maximal geweitet. Erstaunlich, wie viel Information auf die Netzhaut dringen konnte, wenn man ihr ein wenig Zeit ließ. Schemen, Schatten, schwarz-weiß, eher grau, nie farbig. Was Werner veranlasste, das Gebäude nicht zu verlassen, war gewiss nicht das, was er sah. Und doch flüsterten ihm zahlreiche Eindrücke zu, dass dies ein Haus mit vielen Geheimnissen sein müsse, die sich ein wenig zierten, sich ihm zu offenbaren. Mit jedem Schritt, den er ging, wusste er, dass es nicht umsonst gewesen war, hierherzukommen, denn es gab etwas, das ihn beständig bei der Stange hielt. Ein eigentümlicher Geruch wohnte in diesem Haus, wehte mal mehr, mal weniger intensiv an ihm vorbei, wie ein flüchtiger Gedanke, der sich nicht in den Windungen des Gehirns festsetzen wollte.
›Asbestverseucht‹ hieß die offizielle Version. Wie roch Asbest? Nach Chemie? Nach Mineralien? Steinig, erdig, kalkig oder war es geruchlos wie Gas, das unbemerkt töten konnte? War es nicht schon längst ausgedünstet, hatte sich ins Universum zurückverzogen und Platz gemacht für Gerüche der Vergänglichkeit, Verwesung, Verrottung? Für den strengen Duft der Schimmelpilze aus der Feuchtigkeit, lebendige bläuliche Sporen. Vielleicht die eine oder andere Ratte oder auch mehrere, die ihr Zeitliches gesegnet hatten.
Werner fand einen Flur mit einer Tür, die sich öffnen ließ. Ein Treppenhaus mit Stufen, die die Füße ertasten konnten. Abgerundete Stufen, die Kanten gebrochen, Fliesen, im Frost erstarrt und zerfallen. Sie führten nach oben, ins Obere der Grabstätte für Spinnen, Kellerasseln und andere Lebewesen.
Werner stieg die Stufen in die erste Etage empor. Er hielt seine Nase wie ein schnüffelnder Köter in die Höhe und entschloss sich umzukehren. Die Intensität nahm ab. Er ging drei Schritte zurück, ertastete ein kaltes Geländer. Ebenfalls rau, die Farbe aufgeplatzt, aber auf der Unterlage verblieben. Die Treppenstufen, die er nun wählte, führten nach unten in den Keller des Hauses.
Es wurde kälter und das Gurgeln und Grummeln nahm zu. Nicht das seines Pulses und Magens, sondern das der
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