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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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hatte. Giftiges Chlorgas mit zu wenig und obendrein abgestandenem Wasser, in fatalem Verhältnis gemischt. Ein schrecklicher Gedanke kam ihm in den Sinn. Noch einmal rekapitulierte er den Verdacht, die Ergebnisse des Pathologen Pawel Schygurski: Kein Alsterwasser, sondern Chlor. Zu viel Chlorid in zu wenig Wasser, tödlich bei nur einem Schluck, giftig für jedes Gewebe, Lunge wie Magen. Die Antwort auf eine Frage, die er an diesem Tag gar nicht gestellt hatte, schrie ihn an: Wie war Klaus Schöller wirklich gestorben?
    Taumelnd widmete sich Werner der Grube mit den Überresten von sechs Menschen, die schnell abgezählt waren. Im milchig trüben Neonschein mit jenen Startern, die einen morbiden Takt angaben, erkannte Werner den Grund, der ihn sich ein drittes Mal übergeben ließ: Allen sechsen war etwas gemeinsam. Sie waren enthauptet worden und an ihrer rechten Hand fehlten Zeigefinger und Daumen. Utensilien, wie sich später herausstellte, die Frank Reichstein für ein Weiterleben als auferstandener Toter benötigt hatte.
    Etwas anderes jedoch passte nicht ins Bild. Neben dem Haufen des Grauens, am Rand des Bodens, dort, wo wieder Fliesen ausgelegt waren, lag ein sorgfältig zusammengelegter Anzug. Das Jackett zu unterst, darüber die Hose, entsprechend der Bügelfalten akkurat gefaltet.
    Davor schwarze Socken, in blanke, schwarze Schuhe gestopft.
    Keine Unterwäsche.
    Einem der Toten hatte möglicherweise dieser Anzug gehört. Werner schielte angewidert zu ihnen hin und stellte fest, dass sie allesamt bekleidet waren. Der Anzug war übrig. Er war sauber, kein Lehmkrümelchen haftete ihm an. Er musste anders behandelt worden sein, wie auch der Mensch, dem er gehört hatte. Werner hielt noch immer das Tuch vor Mund und Nase und ging in die Hocke. Er streckte die Hand nach dem Anzug aus und ertastete feinsten Stoff, Kaschmir mit Wolle, es schmeichelte der Haut, paradox in dieser grausamen Umgebung. Werner nahm die Hose und legte sie neben die Schuhe. Er nahm die Jacke hoch und schaute auf das Schild knapp oberhalb der rechten Innentasche. Armani, Größe 50. Ein sündhaft teurer Anzug, der geschätzte tausend Euro gekostet haben mochte.
    Er erhob sich aus der Hocke.
    Erst ein Bild, dann eine ganze Szene flackerte vor seinem inneren Auge auf. In Sequenzen wie in einem alten Schwarz-Weiß- Streifen aus Stummfilmzeiten, von einer alten Filmrolle mit elefantengrauen Projektoren an die Leinwand geworfen, sah er Klaus Schöller kurz vor seinem Tod wie ein Gockel in seinem Büro herumstolzieren. Die Daumen unter das Revers seines Anzuges gelegt, präsentierte er stolz der Belegschaft seine neue Garderobe. Einer von vielen, hatte er gesagt. Alle hätten bei dieser Aussage kotzen können. Werner tat es jetzt in diesem Augenblick.
    Die Bilder mit ihren damit verbundenen Wahrheiten ließen ihn zurückweichen, raus aus diesem Raum, weg von diesem Gestank. Er stieß einen merkwürdigen gequälten Schrei aus, in den dunklen Flur hinein, der nun mattes, totes Licht von den Röhren bekam. Jetzt konnte er rennen, er sah genug für seinen Weg. Die Stufen hinauf, das kalte Geländer gefasst, hastete er ins Freie, durch das Fenster, entlang an einer spitzen Scherbe, die ihm den Unterarm blutig ratschte, an die Luft, die klare, saubere, unschuldige Luft, die er einzog, als gäbe es sie im nächsten Moment nicht mehr. So viel wie möglich wollte er atmen, alles zuvor Inhalierte verdünnen, es ungeschehen machen, den Geruch, das Gift, den Tod.
    Er stützte sich auf den Knien ab.
    Er schluchzte.
    Unbeabsichtigt, von ganz allein, suchte seine Seele nach einem Weg, das Grauen aus sich herauszuschwemmen. Leise Tropfen platschten auf den Boden, ein rostiger Elbkahn ließ sein Horn erschallen und schluckte ihn und seine Tränen.
    Werner richtete sich wieder auf und blickte von unten an dem Haus vorbei, in die Wolken. Großer Gott im Himmel. Was für eine beschissene Welt hast du gemacht?
    Werner versuchte sich zusammenzureißen und nahm die schwarz verhangenen Scheiben in den oberen Stockwerken ins Visier. Er schüttelte den Kopf. War das da unten im Keller alles? Oder gab es noch mehr zu sehen, in anderen Etagen womöglich? Schlimmeres? Was konnte es Schlimmeres zu sehen geben als das, was er soeben erblickt hatte? Für einen Tag hatte er genug gesehen, für eine Woche, für einen Monat, ein Jahr, ein Leben.
    Frank Reichstein war ein Monster, ein Psychopath, ein Massenmörder, ein Blender, ein charmanter Schauspieler, ein liebenswerter

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