Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
rauchen, doch nun verlangte es ihn nach einer Zigarette. Er blickte verstohlen auf die Menükarte im Aushang neben der Eingangstür, als wolle er sich vergewissern, ob ihm dieses Restaurant zusage. Dann trat er zurück und ging weiter. Er blickte auf die Uhr, sah sich um und bemerkte natürlich immer Menschen, die an ihm vorbeigingen, die ihn beiläufig ansahen, die lachten und sich unterhielten. Sie hatten nichts mit ihm zu tun. Doch das wusste er ja nicht. Wie erkannte man Menschen, die einen beschatteten? Nicht wie in amerikanischen Filmen, in denen trenchcoattragende Männer mit grimmigem Blick und Kippen zwischen den Lippen in Hauseingängen herumlungerten. Pseudounauffällige Leute, die ein Mikro am Revers trugen und mit verzogenen Mundwinkeln hineinnuschelten.
Martin beschloss, eine weitere Runde um den Häuserblock zu drehen, bemüht lässig und scheinbar unbeteiligt, nicht wie jemand, der ein konspiratives Treffen mit einem Mister Nobody vereinbart hatte, dem so viele Identitäten anzuhaften schienen wie Politiker medienrelevante Ausflüchte besaßen.
Gegen zehn vor acht betrat Kommissar Martin Pohlmann das Lokal. Er war sich einigermaßen sicher, nicht verfolgt worden zu sein. Er trug eine auf alt getrimmte Jeans, ein schwarzes Poloshirt und darüber eine Jeansjacke. Unauffälliger ging es nicht mehr. Nach einem Mann suchend, den er nicht kannte, blickte er sich um. Beinahe alle Plätze an den Tischen waren belegt. Es herrschte ein emsiges, fröhliches Treiben. Flinke Kellner und Kellnerinnen huschten in alle Richtungen, angeregte Unterhaltungen, begleitet von Gläserklirren und Besteckgeklimper. Der Blick zur voluminösen Bar mit ihrem riesigen Spiegel und all den Flaschen davor war klar und unvernebelt, seit einem Jahr nicht mehr eingehüllt in wohlige Schwaden genossenen Tabaks. Nun roch es hier nur noch nach Mensch. Individuen jeglicher Couleur, unbeschwert und lebensfroh, die er in diesem Augenblick um ihre Sorglosigkeit beneidete. Er schlich an den Leuten vorbei. Betörender Chanelduft saß neben süßlichem Aftershave von Joop, Bratensoße an Cordon bleu und Pommes gegenüber von Grillteller nach Art des Hauses, angereichert mit einem subtilen, doch stechenden Duft zweitagealten Schweißes.
Martin blickte sich um und steuerte den einzigen noch freien Tisch in der hinteren Ecke des Lokals an. Eine Mädchenstimme ließ ihn aufschrecken. »Herr Pohlmann?«
Martin wandte sich nach ihr um, die seinen Namen nannte, und blickte in die Augen einer netten Kellnerin. Sie wirkte so arglos, wie sie jung und hübsch war, und er beschloss zu nicken.
»Nehmen Sie bitte Platz. Dieser Tisch ist für Sie reserviert.«
»Wie hieß der Mann, der ihn reserviert hat? Hat er angerufen oder war er hier?« Martins Stimme klang hoch, mit einem Anflug von Panik.
Die Kellnerin blickte irritiert.
»Keine Ahnung. Irgendjemand hat angerufen und gesagt, wir sollen diesen Tisch für Sie frei halten. Der Mann hat Sie genau beschrieben, ich habe Sie erkannt und hier sind Sie nun. Wieso? Stimmt was nicht damit?«
»Nein, nein, schon gut. Ist alles in Ordnung.«
»Kann ich Ihnen schon mal was bringen?«
»Großes Bier bitte.«
Die junge Frau verschwand und noch bevor sie am Tresen angekommen war, hatte sie drei weitere Bestellungen aufgenommen. Martin setzte sich an den Tisch, mit dem Rücken zur Wand, so dass er das Lokal und vor allem den Eingang im Auge behalten konnte. Es drängte ihn erneut, sich eine Zigarette anzuzünden, und er ärgerte sich darüber. Dies wäre die perfekte Situation dafür gewesen. Abgesehen davon, dass er zu diesem Zweck hätte nach draußen gehen müssen, hatte sein süchtiges Unterbewusstsein den gesunden Lebenswandel noch nicht vollständig verinnerlicht. Er suchte mit den Fingerspitzen in den Furchen der hölzernen Tischplatte nach Unebenheiten und hoffte, dass ihn sein erster Schluck Bier noch vor Eintreffen seines Gesprächspartners beruhigen würde. Wo in diesem Augenblick der professionelle Bulle war, er konnte es nicht sagen; vielleicht im Präsidium oder zu Hause, aber ganz sicher nicht hier in dieser Kneipe.
Jeden männlichen Besucher taxierte Martin genau; dünne, dicke, junge, alte. Keiner von denen sah ihn an, nickte ihm wissend zu.
Dann, exakt eine Minute nach acht, betrat ein Mann das Lokal, nach dem man sich auf der Straße nicht umgesehen hätte. Er verkörperte mit den curryfarbenen Cordhosen mit weitem Schlag, dem karierten, hochgeschlossenen Hemd und der beigen Hornbrille
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