Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
davon aus, dass er nicht mehr zum Chef der Mordkommission tauge, dass sein Gehirn irreparable Schäden davongetragen haben müsste. Dass er das verwahrloste Bild eines sabbernden, hinkenden und wirres Zeug redenden alten Mannes abgeben würde und dem Stress als Ermittler einer Sonderkommission nicht mehr gewachsen sei. Klaus Schöller wollte ihn nicht mehr um sich haben, plädierte dafür, ihm den Gnadenschuss wie einem humpelnden Köter zu verpassen, doch Lorenz ließ sich nicht unterkriegen. Er verharrte in seiner Beamtenposition, aus der ihn niemand in Ermangelung eines offiziellen Beschlusses vertreiben konnte. Eigenartigerweise auch nicht der Polizeipräsident höchstpersönlich, denn es gab Gesetze und Regelungen, an die sich auch jener halten musste, ob es ihm passte oder nicht. Und nun, da sein Sohn Klaus grüngesichtig in der Pathologie auf seine Sektion wartete, fehlte dem Vater die Kraft, weiter gegen Lorenz vorzugehen.
»Und? Wie isses in Lüneburg? Mal ehrlich? Nicht so schön wie bei uns, oder?«
Martin grinste verschmitzt. »Salzhausen«, korrigierte er ihn.
»’n bisschen langweilig, wenn ich ehrlich bin, aber Langeweile kann auch nützlich sein. Ich krieg wahrscheinlich keinen Herzinfarkt so wie Sie. Und ich werde nicht mit Fällen beauftragt, wo mich ein Killer mit seiner eisernen Jungfrau liieren will.«
Lorenz senkte den Kopf. Er fühlte sich beinahe schuldig. Und doch hielt er daran fest, dass es richtig war, Martin aus Ecuador nach Deutschland zurückzuholen. Der Serienkiller war tot, die Alt-Nazis eingebuchtet und das Ansehen der Hamburger Polizei wiederhergestellt. Der Fall war gelöst, obwohl es noch eine Menge unbeantworteter Fragen gab. Eine von diesen Fragen war, ob der Tod von Klaus Schöller irgendwie mit dem Aufspüren der alten Nazis zu tun hatte. Gab es jemanden, der sich an Klaus rächen wollte, oder hatte Klaus seine Nase in Dinge hineingesteckt, von denen er sich besser ferngehalten hätte?
Die nächsten Tage und Wochen würde Martin die dunkelsten Erkenntnisse aus einem stinkenden Morast an die Oberfläche zerren, aufdringlicher und unglaubwürdiger, als es ihm lieb war, und er würde sich wünschen, in Lüneburg geblieben zu sein.
*
»Was kann ich für Sie tun, Pohlmann? Sie sind doch bestimmt nicht hier, weil Sie Sehnsucht nach uns hatten?«
»Ah, ich seh’ schon. Die Reha hat Ihrem Spürsinn nicht geschadet. Das freut mich, aber eigentlich wollte ich nur kurz zu Werner. Hab ’ne Computerfrage, die er mir hoffentlich beantworten kann.«
»Ach, Martin, reden Sie keinen Scheiß. Ich kenn Sie schon so lange und Sie waren schon immer ein lausiger Lügner. Also! Was ist los?«
»Mensch, Chef, machen Sie es mir doch nicht so schwer. Ich weiß es ja selbst noch nicht.« Martin Pohlmann blickte auf den oberen Zargenrand von Lorenz’ Bürotür und beobachtete die Spinne, die sich dort trotz der Anwesenheit der Polizisten unverfolgt fühlte.
»Na schön. Als die Leiche von Klaus Schöller gefunden wurde, kam ein Fahrradkurier vorbei und gab mir einen Brief von Klaus. Eine Art Abschiedsbrief, auf den er einen kleinen Fotochip mit einem Tesafilmstreifen festgeklebt hatte. Der Alte hat das irgendwie mitgekriegt, mir auf die Fresse gehauen und den Brief abgenommen.« Martin kramte in der Hosentasche und fingerte den Chip hervor. »Den hier hat er allerdings nicht gekriegt. Na ja, und jetzt kommt das Computerproblem, von dem ich sprach: als ich nachgesehen hab, was drauf ist, hab ich nur Urlaubsfotos von der Karibik gefunden und ich dachte mir, Werner findet bestimmt noch mehr, falls es was zu sehen gibt. Warum sollte mir Klaus einen Chip mit Karibikfotos schicken. Neidisch konnte er mich bestimmt nicht damit machen. In Ecuador war es genauso schön.«
»Was stand denn in dem Brief?«
»Ach, nichts Besonderes. Dass es ihm leidtat, dass wir uns nicht so gut verstanden haben, und so ein Zeugs. Unwichtig.« Martin drehte sich um, weg von Lorenz’ intensivem Blick. »Ich geh dann mal. Egal, was es mit Schöllers Tod auf sich hat. Ich bin zum Glück raus aus der Nummer.«
Lorenz hob die Hand zum Abschied und verschwand wortlos in seinem Büro. Die Geheimniskrämerei von Pohlmann verwunderte ihn, vor allem machte sie ihn traurig, zwanzig Jahre enge Zusammenarbeit ließen sich nicht mit einer Lüge und einem Abschiedsgruß beenden.
Martin klopfte an Werners Tür und trat ein, ohne die Reaktion abzuwarten. Werner Hartleib thronte hinter seinem Schreibtisch, wippte in seinem
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