Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
ja noch, was in dem Brief stand, oder? Dass ich alles aufdecken soll und dass sein Vater nicht der ist, für den ihn alle halten, und so weiter. Und dann hängt er diesen Chip mit karibischen Mädels daran.«
Martin drehte sich halb von Werner weg. »Du, wie gesagt, ich hab keine Lust, mich mit dem Polizeipräsidenten anzulegen. Ich habe akzeptiert, dass auch in Chefetagen keine Engel sitzen. Auch unsere Politiker und Bundespräsidenten sind keine Vorbilder mehr. Eigentlich gibt es niemanden, zu dem du aufblicken und an dem du dich orientieren kannst. Also kann man es auch gleich ganz bleiben lassen. Ich für meinen Teil wünsche dir viel Spaß. Meine fünf Minuten sind um.«
Werner drehte sich mit seinem Bürostuhl zu Martin um. »Okay, hau ruhig ab. Lass uns nur im Stich mit dem Scheiß. Du kannst ja Knöllchen in Lüneburg verteilen oder die Nutten in ihren Wohnwagen am Straßenrand kontrollieren. Viel Spaß dabei. Ach, und übrigens, mich würde nicht wundern, wenn du trotzdem nicht so einfach aus der Nummer rauskommst.«
»Ach ja? Das wirst du gleich sehen. Ich geh hier raus und bin damit durch. Wenn dieser Jerome mich noch mal anruft, sag ich ihm, dass du jetzt den Chip hast und dich um alles kümmerst. Außerdem hab ich das gar nicht zu entscheiden. Wir vergeben uns ja wohl nicht selbst die Fälle, oder? Das tun immer noch andere für uns. Chefs wie Lorenz und der knochige Schöller, der Scheißkerl. Noch mal lass ich mir nicht von dem auf die Fresse hauen.«
»Na, wie du meinst. Eigentlich hab ich schon genug zu tun mit eigenen Fällen und jetzt drückst du mir dieses Ding in die Hand. Mir wurde eine neue SOKO unterstellt. Wir sollen den Mord an Minister Lohmeyer aufklären und ich wollte dich fragen, ob du einen möglichen Zusammenhang zwischen beiden Fällen siehst. Ich dachte eigentlich, dass wir wieder ein Team werden könnten, aber okay, geh nur.«
Werner deutete auf die offenstehende Tür.
Martin verstand die Aufforderung und folgte ihr in diesem Augenblick gerne. Zwei Freunde, die sich über viele Jahre nahegestanden hatten, trennten sich auf unschöne Weise. Sicher, man würde noch Kontakt halten, gelegentlich eine E-Mail schreiben oder zum Geburtstag anrufen.
Martin hatte sich entschieden. Er hatte die Beschaulichkeit und die Ruhe gewählt. Er wollte das Glück, Vater zu werden, nicht aufs Spiel setzen, es sich nicht mit Catherine verderben. Heiraten wollte er sie, unbedingt. Er war keine zwanzig und auch keine dreißig mehr. Wie viele Chancen bekam man im Leben? Nicht unzählige und das machte sich Martin klar, als er dabei war, Werner, Lorenz und ganz Hamburg den Rücken zu kehren. Und doch war der Geschmack dieses Abgangs schal und faulig. Die Zunge klebte am Gaumen und er schwitzte unter den Achseln. Er hatte den Eindruck, genötigt worden zu sein, eine unfaire Entscheidung treffen zu müssen.
Er kam an Lorenz’ Büro vorbei. Lorenz telefonierte. Ein Mundwinkel hing noch schief in seinem Gesicht, die Lesebrille rutschte von der Nase und die Klamotten, die er trug, umschlabberten ihn wie die Fahne den Mast auf dem Dach des Präsidiums bei Windstille. Er wirkte verloren und alt. Nicht wie 63, sondern richtig alt. Die Infarkte des Herzens und des Hirns hatten ihn an den Rand des Abgrunds gebracht und er balancierte dort immer noch. Ob er das Gleichgewicht wiederfinden würde? Martin würde es nicht aus nächster Nähe erfahren. Er winkte, als er das Büro passierte, und verschwand wortlos. Seine polternden Schritte, die Lorenz so geläufig waren, hallten ungeachtet in sein Büro hinein.
*
Den Rest des angebrochenen Tages verbrachte Martin tatsächlich mit einer Mischung aus Strafzetteln, Kaffeekochen, Minimaldelikten und Nachbarschaftsstreitigkeiten. Er telefonierte zweimal mit Catherine, flirtete mit ihr, erkundigte sich nach dem Baby, versicherte ihr, dass er pünktlich zu Quiche Lorraine und Weißwein zu Hause sein würde, und hoffte, dass sie ihre weibliche Intuition dazu benutzen würde, sich nach ihm und Werner und dem Verbleib des Chips zu erkundigen, doch er hoffte vergeblich. Catherine war mit ihrem Nachwuchs beschäftigt, dem Einrichten des Kinderzimmers, der Auswahl von Gardinchen und Benjamin-Blümchen-Tapeten. Sie wollte nichts hören über aufgedunsene Wasserleichen, über von Bomben zerstückelte Minister und andere Exzesse menschlichen Leids. Sie freute sich auf das Leben und sperrte den Tod wie einen ungebetenen Gast aus ihren Plänen aus. Und doch zupfte, tief
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